Die Jahre 1961 bis 1965 gelten als Gründungsjahre und erste bildwissenschaftliche Phase der Künstlerbewegung Neuen Tendenzen, in der hauptsächlich visuelle Forschung betrieben wurde. In ihr versammelten sich europäische sowie südamerikanische Künstler aus dem Umkreis der Op-Art und der Kinetischen Kunst. Die Künstlergruppe trat erstmals 1961 mit der Ausstellung Nove Tendencije in Zagreb in Erscheinung. Vier Jahre später erreichte der durch die Neuen Tendenzen ausgelöste internationale Op-Art-Boom mit der Ausstellung The Responsive Eye seinen Höhepunkt.
The Responsive Eye war eine Op-Art-Ausstellung im Museum of Modern Art in New York City vom 23. Februar bis zum 25. April 1965, die von William C. Seitz kuratiert wurde. Seitz war Experte für den abstrakten Expressionismus und verfügte zudem über ein umfassendes Wissen über die optischen Systeme die Künstler des Surrealismus, Impressionismus, Neoimpressionismus und des Bauhauses anwandten. Für die Ausstellung wählte er 102 Künstler aus, die sich damit auseinandersetzten, wie das Auge auf Erfahrungen mit grundlegenden Elementen der Kunst wie Farbe, Form und Licht in Zeit und Raum reagiert.↓[1] Viele Künstler der Neuen Tendenzen waren direkt an der Ausstellung beteiligt. So stellten beispielsweise Mitglieder aus den Kollektiven GRAV, Gruppo N und Equipo 57 Arbeiten aus. Mit über 180.000 Besuchern war die Ausstellung zwar ein Publikumserfolg, die Mehrheit der Kritiker sah in den ausgestellten Op-Art Werken allerdings nicht mehr als reines Trompe-l'œil. Die begeisterte Aufnahme des breiten Publikums führte einerseits zur Etablierung der Op-Art als anerkannte und eigenständige Kunstströmung, andererseits allerdings auch zu einer raschen Kommerzialisierung der Op-Art. Zu den international bekanntesten Künstlern, die an der Ausstellung The Responsive Eye teilnahmen, gehörte neben Bridget Riley und Victor Vasarely auch Josef Albers. Albers war zum Zeitpunkt der Ausstellung bereits 77 Jahre alt und damit der älteste Teilnehmer. Der Künstler, Kunsttheoretiker und -Lehrer wird in der Kunstgeschichte meist eher dem Konstruktivismus oder der Konkreten Kunst als der Op-Art zugeschrieben, gilt aber aufgrund seiner jahrzehntelangen Forschung und Lehre über die Wirkung von Farbe und Form als einer der wichtigsten Pioniere der Kunstrichtung. Als Albers wichtigstes theoretisches Werk gilt das 1963 erschienene Buch "Interaction of Color", in dem er die Ergebnisse seiner Forschungen zur Wirkung von Farbe und Form festhielt. Mit seinen Überlegungen zu Optik und Wahrnehmung bereitete Albers damit die Op-Art-Bewegung der 1960er Jahre vor.↓[2]
Albers wohl bekanntestes Werk als Maler ist die Serie von Quadratbildern "Homage to the Square", von denen er ab 1950 bis zu seinem Tod 1976 über 2000 Variationen anfertigte. Die Bilder sind zwar in unterschiedlichen Maßen entstanden, das Grundprinzip bleibt dabei jedoch immer gleich. Drei bis vier Quadrate sind ineinander gestaffelt, allerdings sind die inneren Quadrate nicht nach dem Mittelpunkt ausgerichtet, sondern tendieren nach unten, sodass im oberen Bildbereich größere und im unteren Bildbereich kleinere Farbstreifen entstehen. In Homage to the Square hat Josef Albers die optische Wahrnehmung und Wechselwirkung von Farben in verschiedenen Konstellationen, sowie unterschiedlichste Farbphänomene untersucht. Das Quadrat als Ausgangsform wählte Albers, da er "den geringstmöglichen kompositorischen Aufwand, die Beschränkung auf das geometrische Element"↓[3] suchte. Schon seinen Schülern am Bauhaus lehrte Albers unter dem Begriff "Ökonomie der Mittel" die Relation von "effort" und "effect" zu optimieren. Obwohl Albers durch die Wahl des Quadrats als Bildgegenstand mit Künstlern wie Mondrian oder Malewitsch in der Tradition der Moderne steht, gilt er nicht nur als Vorreiter der Op-Art, sondern auch für die Hard Edge Malerei und durch seine serielle Arbeitsweise ebenfalls als Wegbereiter für die Minimal Art. Albers selbst begründete die serielle Arbeitsweise damit, dass es "nicht nur eine einzige Lösung gibt für ein ästhetisches Problem."↓[4]
Albers verwendete für Homage to the Square ausschließlich industriell hergestellte Farben, dessen genaue Bezeichnung er jeweils auf die Rückseite der Bilder schrieb. In der Einleitung von Interaction of Color schreibt Albers: "In visual perception a color is almost never seen as it really is – as it physically is. This fact makes color the most relative medium in art. In order to use color effectively it is necessary to recognize that color deceives continually". In Homage to the Square zeigt Albers den Gegensatz zwischen der physischen Materialität der Farbe und der subjektiven Farbwahrnehmung auf. In jedem Bild hat er die Farben anhand ihrer Interaktion und Relation zueinander ausgewählt.
In den Arbeiten der Serie "Structural Constellations", die Albers in den 1950er-Jahren begann, experimentierte er in Form von Zeichnungen und Drucken mit der visuellen Ambiguität bei der Wahrnehmung von geometrischen Figuren auf der zweidimensionalen Fläche. Albers betonte stets, sein Anliegen als Lehrer und Künstler sei es den Schülern bzw. den Betrachtern die "Augen zu öffnen". Die schlichten Zeichnungen wirken auf den ersten Blick wie einfache geometrische Figuren. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass die Bilder nicht nur auf eine Weise räumlich interpretierbar sind. Da Albers in den Zeichnungen zwar den Eindruck von Räumlichkeit vermittelt, es gleichzeitig aber verhindert Tiefenmerkmale der geometrischen Figuren aufzuzeigen, können die Bilder auf unterschiedliche Weise räumlich interpretiert werden.
Als Pionier der Op-Art und zum Zeitpunkt der Ausstellung bereits international renommierter Künstler, war Albers neben Victor Vasarely mit der größten Anzahl von Werken bei The Responsive Eye vertreten. Es wurden sowohl Werke aus der Serie Homage to the Square als auch aus der Serie Structural Constellations ausgestellt. Der Kurator Seitz betitelt Albers im Ausstellungskatalog als einen "Meister der Wahrnehmungsabstraktion".
Mit Rudolf Arnheim war bei der Ausstellungseröffnung von The Responsive Eye ein weiterer bedeutender Kunsttheoretiker vertreten. In Brian De Palmas Dokumentarfilm mit dem gleichnamigen Titel doziert Arnheim zu den ausgestellten Werken.
Arnheim studierte Gestaltpsychologie bei Max Wertheimer und Wolfgang Köhler, die gemeinsam mit Kurt Koffka als deren Begründer gelten, an der Universität Berlin. In seinem 1954 veröffentlichten Buch "Kunst und Sehen, eine Psychologie des schöpferischen Auges" wendet er die Gestalttheorie auf die Kunst an und erläutert damit bereits die illusorischen Effekte, die von den ausstellenden Künstlern bei The Responsive Eye gut ein Jahrzehnt später für ihre Werke angewandt wurden. Arnheim bezieht sich in Kunst und Sehen auf die gesamte Kunstgeschichte von der Steinzeit bis zur Moderne. Der Sehprozess wird psychologisch dargestellt und es wird erläutert, wie das Auge visuelles Material nach bestimmten psychologischen Prämissen organisiert. So wird beispielsweise auch der Wechsel der Wahrnehmungsperspektive in Josef Albers Structural Constellations von Arnheim bereits durch die Gestalttheorie erläutert.
Ebenfalls in der Ausstellung und dem Katalog von The Responsive Eye vertreten, ist der (damals noch nicht) weltberühmter Maler, Bildhauer und Drucker Victor Vasarely, der bei weitem als Vater des Stils der optischen Kunst gilt. Viele seiner Werke erinnern visuell an algorithmisch von Computern erstellte Arbeiten. Er wollte, dass die Künstler ein breiteres Publikum erreichen. Die treibende Kraft hinter seinen künstlerischen Praktiken war jedoch die Entdeckung der Mechanismen, die die visuelle Wahrnehmung steuern, und nicht die Unterhaltung an sich. Die von den Begründern der Gestaltpsychologie formulierte Wahrnehmungstheorie faszinierte ihn sehr. Vasarely interessierte sich dabei vor allem für die Art und Weise, wie das Auge die Bewegung in einem statischen Kunstwerk, die räumliche Tiefe in der Oberfläche eines Gemäldes oder die Grenzen der einzelnen Formen erkennt, insbesondere bei der Bestimmung dessen, was als Figur und was als Hintergrund wahrgenommen wird.↓[5] Diese Überlegungen finden sich bereits in seinen frühen figurativen Werken wie der Zebra-Serie aus 1937. Das erste Bild der Serie wird allgemein als eines der frühesten Beispiele der Op-Art angesehen. In der Serie beschränkt Vasarely seine Ausdrucksmittel auf ein abwechselndes Muster aus schwarzen und weißen Streifen, das die gesamte Bildfläche bedeckt. Auch in späten skulpturalen Werken, wie etwa SIR-RIS aus dem Jahr 1967, wird diese Technik von Vasarely verwendet.
In der Ausstellung Le Mouvement (Die Bewegung) 1955 in der Galerie Denise René in Paris wurden Werke der Künstler Yaacov Agam, Paul Bury, Alexander Calder, Marcel Duchamp, Robert Jacobsen, Man Ray, Jesús Rafael Soto, Jean Tinguely und ebenfalls auch Vasarely gezeigt. Letzterer veröffentlichte bei dieser Gelegenheit sein Manifeste Jaune (Gelbes Manifest), welches nach der Farbe des Papiers der Broschüre benannt ist. Es ist auf zwei Seiten in der von der Galerie herausgegebenen Broschüre zu Le Mouvement enthalten. In seinem Manifest vertrat Vasarely die Auffassung, dass die traditionelle Einteilung der Künste (in Malerei oder Skulptur und dergleichen) aufgehoben werden sollte. Er behauptete, die Avantgarde habe das Wesen der Kunst verändert, indem sie verschiedene Formen der plastischen Kunst durch ein Studium von Regeln ersetzt habe, die eine Definition der Realität im Akt des Betrachtens darstellten.↓[6]
Die Op-Art spielt im Wesentlichen mit illusionärer Bewegung, wie sie durch die Veränderung der relativen Positionen von Betrachter und Bild entsteht. Diese visuelle Kinetik beruht auf der Wahrnehmung des Betrachters, der von Vasarely als einziger Schöpfer der Wirkung des Werks angesehen wird.↓[7] Ein Großteil seiner späteren Arbeiten ist in leuchtenden Farben und einfachen geometrischen Formen in der Tradition des Bauhauses (Dreieck, Quadrat, Kreis) gehalten. Methodisch basieren seine Konstruktionen auf der Kombinatorik, Permutation und Variation. Folgerichtig nannte er sein Werk „serielle Kunst“. Im März 1959 erhielt Vasarely ein Patent für seine Methode der unités plastiques (Plastikeinheiten). Er beschränkte sein Repertoire auf eine bestimmte Auswahl an Farben und Formen. 1963 stellte Vasarely sein Repertoire unter dem Namen Folklore planetaire (Planetarische Folklore) der Öffentlichkeit vor. Angesichts des visuellen Repertoires ließ er seine Arbeiten von seinen Assistenten ausführen. Die Standardisierung der Elemente zusammen mit der Methode der Permutation schuf eine solide Grundlage für eine rein mechanische Realisierung weiterer Werke. Dies kommt einem algorithmischen Verfahren gleich, auch wenn Vasarely selbst nie ein Computer-Programm geschrieben hat.
Die Einzigartigkeit des Werkes wird, wie bei jeder algorithmischen Kunst, in Frage gestellt. Erst Vasarelys Sohn Yvaral (1934-2002) verwendete seit 1975 in gewissem Umfang Computer. Bevor Victor Vasarely 1930 nach Paris zog, studierte er etwa ein Jahr lang bei dem Künstler Sánor Bortnyik an der Mühely-Akademie in Budapest (einem ungarischen Pendant zum deutschen Bauhaus). Nach Abschluss seines Studiums emigrierte Vasarely nach Paris, wo er für Werbeagenturen arbeitete und Werbeplakate entwarf. 1929 bis 1944 ist die Werkphase seiner frühen Grafik. Vasarely experimentiert mit Struktureffekten, Perspektive, Schatten und Licht. Aus seiner frühen grafischen Periode stammen Werke wie Zebras (1937), Chess Board (1935) und Girl-power (1934). Von 1944 bis 1947 ist seine Phase Les Fausses Routes (Auf dem falschen Weg). In dieser Zeit experimentierte Vasarely mit kubistischen, futuristischen, expressionistischen, symbolistischen und surrealistischen Gemälden, ohne einen eigenen Stil zu entwickeln. Die folgende Phase von 1947 bis 1951 dient der Entwicklung der geometrisch-abstrakten Kunst. Im Oktober 1967 wurde Vasarely von dem Designer Will Burtin eingeladen, einen Vortrag auf Burtins Konferenz Vision‘67 an der New York University zu halten. Berühmte Sprecher dort sind unter anderem Max Bense, Umberto Eco und Willen Sandberg gewesen. Eines seiner größten Projekte ist die Fondation Vasarely in Aix-en-Provence, ein Museum, das in einem eigens von Vasarely entworfenen Gebäude untergebracht ist. Es wurde 1976 vom französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou eingeweiht, zwei Jahre nach Vasarelys Tod. 1982 schaffen es 154 Serigrafien Vasarelys mit an Bord des französisch-sowjetischen Raumschiffs Saljut 7 ins All gebracht und später zugunsten der UNESCO verkauft zu werden.
Vasarely vertrat und praktizierte das Konzept, dass der alleinige Künstler überholt sei, ein Konzept, das an die Beteiligung des Publikums appellierte. Das Konzept wurde später von seinem Sohn Yvaral aufgegriffen und bei einer ersten Veranstaltung dieser Art 1963, während der Biennale de Paris, konnten die Besucher durch von den Künstlern angelegte Labyrinthe gehen.↓[8] Dies war sicherlich ein Vorläufer der interaktiven Installationen. Der Sohn war später Mitglied der Künstlergruppe Groupe de Recherche d‘Art Visuel (Forschungsgruppe für visuelle Kunst), kurz GRAV.
Die GRAV wurde 1960 in Paris von einigen argentinischen Künstlern mit dem Ziel gegründet, eine Unterströmung im Bereich der visuellen Künste zu vereinen und eine neue Beziehung zwischen dem Publikum und dem Kunstwerk herzustellen. GRAV war keine Gruppe von Forschern, sondern eine Gruppe von Künstlern, die Forschung betrieben. Ihr Vorhaben war es, den aktuellen Kunstströmungen zu entkommen, die in einem einzelnen Maler gipfeln, und durch Teamarbeit zu versuchen, die verschiedenen Aspekte der visuellen Kunst zu klären. Die Mitglieder von GRAV wurden zeitweise als opto-kinetische Künstler bezeichnet. Gemeinsam gestalteten sie Environments, rasterartige Raumstrukturen und kinetische Objekte. Im Juli 1960 gründeten Hector Garcia Miranda, Horacio Garcia Rossi, Hugo Rudolfo Demarco, Julio Le Parc, Vera und Francois Molnár, Francois Morellet, Sergio Moyano, Servanes (Simone Revoil), Joel Stein, Francisco Sobrino und Yvaral (eigentlich Jean-Pierre Vasarely) das Centre de Recherche d‘Art Visuel, ein Zentrum für visuelle Forschung, in dem Künstler zusammenarbeiten konnten, um gemeinsame formale und theoretische Ziele zu verwirklichen. Im Sommer 1960 mieteten die jungen Künstler eine kleine Garage im Pariser Marais-Viertel, die ihnen einen gemeinsamen Begegnungs- und Ausstellungsraum bot. Das Zentrum wurde im Juli 1961 in Groupe de Recherche d‘Art Visuel umbenannt. Zu den Mitgliedern der Gruppe gehörten fortan Garcia Rossi, Le Parc, Morellet, Sobrino, Stein und Yvaral. Die Gruppe löste sich 1968 auf, und ihre Mitglieder setzten ihre visuellen Untersuchungen und Produktionen unabhängig voneinander fort.↓[9]
Im Oktober 1961 ergriff GRAV die Initiative und veröffentlichte eine programmatische Erklärung mit dem Titel Propositions générales, in der sie unter Bezugnahme auf die Neuen Tendenzen oder Nouvelle Tendance unter anderem Folgendes feststellte: „Das Publikum von Hemmungen und Deformationen in der Bewertung der Kunst zu befreien, die das Ergebnis des traditionellen Ästhetizismus sind, indem eine neue Situation zwischen dem Künstler und der Gesellschaft geschaffen wird. [...] Die Existenz unbestimmter Phänomene in der Struktur der visuellen Realität des Kunstwerks festzustellen und davon ausgehend neue Möglichkeiten zu konzipieren, die ein neues Feld der Untersuchung eröffnen.“ ↓[10]
Vom 4. bis 18. April 1962 stellte die von Francois Morellet mitbegründete Gruppe ihre Werke in der Maison des Beaux-Arts in Paris unter dem Titel L‘Instabilité aus. GRAV veröffentlichte in Zusammenarbeit mit der Galerie Denise René die Broschüre "Groupe de Recherche d‘Art Visuel. Paris 1962", in welcher der Text Nouvelle Tendance veröffentlicht wurde, in dem eine Liste der Mitglieder der Künstlergruppe Neue Tendenzen veröffentlicht wurde. Die Galerie Denise René hatte ihre Türen 1945 in Paris wenige Monate vor der Befreiung mit einer Ausstellung von Victor Vasarelys figurativen Arbeiten aus den späten 1930er Jahren geöffnet. Ab 1946 widmete sich die Galerie der Abstraktion und später der geometrischen Abstraktion. Sie sollte eine zentrale Rolle bei der Verbreitung dessen spielen, was später als kinetische Kunst und noch später als Op-Art bezeichnet wurde.↓[11]
Die Mitglieder der GRAV trugen maßgeblich zur Weiterentwicklung der Neuen Tendenzen bei. So luden sie im November 1962 den frisch gegründeten französischen Flügel Nouvelle Tendance in ihr Studio nach Paris ein. Kurz darauf folgte nove tendencije 2 im Sommer 1963. Nach der zweiten Zagreber Ausstellung traf sich eine Gruppe der beteiligten Künstler, die meisten davon auch Mitglieder der GRAV. Kurz darauf wurden drei Dokumente verschickt: Bulletin No. 1, Nouvelle Tendance – recherche continuelle. Evolution de sa composition und Proposition pour un règlement de la N. T., alle verfasst von Gerhard von Graevenitz. In diesen Dokumenten versuchte die Gruppe von Künstlern und Theoretikern, den informellen Zusammenschluss der Neuen Tendenzen inhaltlich zu definieren und Regeln für die Kommunikation und Entscheidungsfindung festzulegen. Hervorzuheben ist die genaue Auflistung der Mitglieder und vor allem die begründete Liste von Ausladungen an diverse Künstler, unter anderem an die Düsseldorfer Gruppe ZERO. Die Verbreitung der Publikationen unter dem neuen Namen Nouvelle Tendance - recherche continuelle betonte den experimentellen Charakter der künstlerischen Arbeit.
Ein Ereignis im Jahr 1963 zeigt dabei die besondere Verbundenheit von GRAV zum Netzwerk der Neuen Tendenzen. GRAV erhielt eine Einladung, als Gruppe im Musée des Arts Decoratifs in Paris auszustellen. Stattdessen schlug GRAV dem Leiter des Museums vor, eine Ausstellung mit allen Künstlern der Nouvelle Tendance - recherche continuelle zu organisieren. Der Vorschlag wurde angenommen, und die Ausstellung Propositions visuelles du mouvement international Nouvelle Tendance wurde im April 1964 im Pavillon de Marsan des Louvre eröffnet. Der Schweizer Künstler und Designer Karl Gerstner schrieb einen kurzen Text für den Katalog zur Ausstellung, in dem er die Nouvelle Tendance vorstellte. Gerstner, der bis 1964 bereits mehrere Bücher - darunter Kalte Kunst (1957), Die neue Graphik (1959) und Programme entwerfen (1963) - veröffentlicht hatte, leitete zu dieser Zeit mit Markus Kutter und Paul Gredinger eine internationale Werbeagentur.
Auch wenn Max Bense den Begriff der Programmierung schon früh in Künstlerkreisen einführte, war seine starke Präsenz innerhalb der Neuen Tendenzen ab 1963 eindeutig eine Folge der Wanderausstellung Arte Programmata, deren Titel von Bruno Murani und Umberto Eco verfasst wurde. Gruppo T, Gruppo N, Enzo Mari und GRAV - allesamt Künstler, die die Neuen Tendenzen entscheidend geprägt haben - nehmen an der Schau teil. Die Ausstellung, die zunächst in den Verkaufsräumen von Olivetti in Mailand stattfand, bevor sie an Olivetti-Standorten in Venedig, Rom und Düsseldorf präsentiert wurde und schließlich auch durch die USA tourte, zeigte Werke, die visuelle Effekte erzeugten, wenn der Betrachter seinen Blickwinkel veränderte; und doch wurde der Eindruck der gesamten Ausstellung von kinetischen Objekten bestimmt, die vom Betrachter manipuliert werden konnten oder von einfachen Motoren angetrieben wurden.
In den folgenden Jahren wurde das Konzept des aktivierten Betrachters in den Environments von GRAV (aber auch z. B. von Gruppo T) radikalisiert. Die Untergrabung des Verhältnisses zwischen Künstler und Betrachter war Teil des größeren Unterfangens der Neuen Tendenzen, die Kunst zu entmystifizieren.↓[12]
Das Ehepaar Molnar verließ die Gruppe bereits im November 1960, wenige Monate nach Veröffentlichung des Gründungsmanifests. In der kurzen Zeit der Zusammenarbeit, vor allem mit Francois Morellet, entstand eine der wichtigsten Publikationen der Gruppe. Francois Molnar hatte Malerei in Budapest und experimentelle Psychologie in Paris studiert. 1962 begann er am Institut d‘esthetique et des sciences de l‘art (Institut für Ästhetik und Kunst) an der Sorbonne zu arbeiten. Molnar wollte eine neue Kunstwissenschaft entwickeln, die sich an den experimentellen Methoden und Standards der Naturwissenschaften orientieren sollte. Er machte Morellet mit einer Reihe von Modellen und Theorien bekannt, darunter auch die Informationstheorie, wie sie von Abraham A. Moles und Max Bense popularisiert wurde. Der Text von Molnar und Morellet mit dem Titel Pour un art abstrait progressif wurde im Rahmen der Ausstellung nove tendencije 2 als eigenständige Publikation zusätzlich zum Katalog veröffentlicht.↓[13]
In der Publikation legen beide ihre Hauptkritikpunkte an der abstrakten Kunst dar und lassen Einflüsse von der Semiotik erkennen. Abstrakte Kunst sei mystifiziert und könne nicht leicht verstanden werden. Das solle sich ändern. Betrachter versuchen, ein abstraktes Werk zu verstehen und fragen sich, was es bedeuten würde, aber abstrakte Kunst bedeute gar nichts; sie sei nur ein Zeichensystem, das auf nichts als auf sich selbst verweise, schreiben Morellet und Molnar.↓[14]
Hervorzuheben ist der Abschnitt über die Untersuchung der Wahrnehmung des visuellen Werks. Sie stellen fest, dass die Formwahrnehmung sowohl vom Reiz als auch von der Einstellung des Empfängers abhängt, in diesem Fall vom Auge des Betrachters. Die Schwierigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass unser Auge nicht nur ein unbestimmter optischer Empfänger mit einer konstanten, ein für alle Mal eingestellten Empfindlichkeit ist, sondern stark von allen Facetten unserer Individualität beeinflusst wird. Dazu zählen Erinnerungen, Interessen, Emotionen und Motivationen. Folglich hängt unsere Wahrnehmung von Formen auch in hohem Maße von sozialen Faktoren ab.↓[15]
Die Beziehungen zwischen dem Auge und den diversen kortikalen und subkortikalen Zentren sind ebenso wie die Beziehungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft komplex und schwer zu untersuchen. Wenn wir uns einem komplexen Phänomen nähern, ist es legitim, einige Elemente auszuwählen und sie separat zu untersuchen, vorausgesetzt, wir vergessen nicht, dass sie Teil eines viel größeren Ganzen sind. Selbst wenn wir nur die Beziehung zwischen Bild und Auge untersuchen, stoßen wir auf bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die für den Aufbau einer wissenschaftlichen Ästhetik der Malerei von großem Interesse sind.↓[16]
Bei der linken Form in der nebenstehenden Abbildung (a) sehen wir entweder ein weißes Kreuz auf schwarzem Grund oder ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund. Bei der Form rechts (b) sehen wir in der Umkehrperspektive von Heinrich Georg Friedrich Schröder entweder eine aufsteigende Treppe oder die Unterseite einer absteigenden Treppe. Und all dies sei völlig unabhängig von unserem Willen, unseren Gefühlen oder unserem Wissen und unabhängig von jeglichem sozialen Einfluss, schreiben Morellet und Molnar.↓[17] In der gleichen Reihenfolge der Ideen, aber auf einer viel höheren Ebene, könnten wir ein Gemälde der Neuen Tendenz (zB Trames von Francois Morellet, 1960) erwähnen, das aus vollkommen geraden Linien in Rastern besteht, die eine mit Zirkeln gezogene Rosette zu bilden scheinen. Obwohl wir wissen, dass es aus geraden Linien besteht, bleibt der Eindruck von Kurven bestehen.
bschließend kann man festhalten, dass der Künstler schließlich nur ein Individuum ist. Er kann sich den gesellschaftlichen Zwängen nicht entziehen und sollte sich nicht in den Elfenbeinturm des Genies einschließen, so Morellet und Molnar. Die Informationstheorie, die Morellet und Molnar kurz erwähnt haben, ist nur ein Beispiel. Es gibt andere, ebenso konkrete Forschungsrichtungen. Das Wesentliche ist, dass man bei der Anfertigung visueller Arbeiten und deren kritischer Prüfung nicht in die trüben Tiefen der Metaphysik hinabsteigen muss. Sie haben dargelegt, dass sie auf jeder Ebene ihrer Untersuchung konkrete Beziehungen gefunden haben, die von Regeln bestimmt werden. Gerade auf der Grundlage solcher Gesetze will die Neue Tendenz die Kriterien für den Erfolg ihrer Experimente finden. Vielleicht haben sie sich ein wenig zu lange mit der Untersuchung des visuellen und sozialen Bereichs beschäftigt und sind vielleicht ein wenig zu technisch gewesen, aber sie haben nur einige Probleme angesprochen und die gesamte mathematische Dimension außer Acht gelassen. Morellet und Molnar wollten zeigen, dass in dem von der Neuen Tendenz verfolgten Ansatz kein Platz für Mystifizierung ist. Ganz im Gegenteil, durch seine Entschlossenheit, die Beziehungen zwischen Werk, Auge und Gesellschaft klar darzustellen und zu überwachen, entspricht dieser Ansatz den neuesten Theorien der damals zeitgenössischen Wissenschaft.↓[18]
Die Organisatoren der Neuen Tendenzen sahen durch die rasche Kommerzialisierung der Op-Art ihr Ziel, Kunst als Forschung zu etablieren, in Gefahr und so beschlossen sie, ihre Strategie zu überarbeiten und riefen im Sommer 1968 im Rahmen der vierten Ausstellung, Tendencies 4, das Programm Computer and Visual Research ins Leben. Die Bewegung beschloss, den Computer als Medium der künstlerischen Arbeit in ihr Programm aufzunehmen und damit ihren avantgardistischen Anspruch zu bekräftigen und zur Definition einer Technologie beizutragen, von der man zu Recht annahm, dass sie die Zukunft der Zivilisation bestimmen würde.↓[19]
ANMERKUNGEN
[1] Casten Nicolai – Flash Art [↗]
[2] LWL Münster [↗]
[3] Wissmann, Jürgen: Josef Albers, Aurel Bongers, 1973
[4] ebenda
[5] Museum of Modern Art Warsaw [↗]
[6] compart [↗]
[7] ebenda
[8] compart [↗]
[9] ICAA (International Center for the Arts of the Americas) [↗]
[10] Denegri, Jerko: The Conditions and Circumstances That Preceded the Mounting of the First Two New Tendencies Exhibitions in Zagreb 1961–1963, in: A Little-Known Story About a Movement, a Magazine, and the Computer's Arrival in Art, Margit Rosen, MIT Press, 2011, S. 21
[11] Galerie Denise René [↗]
[12] Rosen, Margit: The Art of Programming, in: A Little-Known Story About a Movement, a Magazine, and the Computer's Arrival in Art, Margit Rosen, MIT Press, 2011, S. 35
[13] Molnar, Franois / Morellet, Francois: For a Progressive Abstract Art, in: A Little-Known Story About a Movement, a Magazine, and the Computer's Arrival in Art, Margit Rosen, MIT Press, 2011, S. 136
[14] ebenda, S. 137
[15] ebenda, S. 141
[16] ebenda, S. 141
[17] ebenda, S. 142
[18] ebenda, S. 142
[19] Monoskop [↗]
Die Jahre 1961 bis 1965 gelten als Gründungsjahre und erste bildwissenschaftliche Phase der Künstlerbewegung Neuen Tendenzen, in der hauptsächlich visuelle Forschung betrieben wurde. In ihr versammelten sich europäische sowie südamerikanische Künstler aus dem Umkreis der Op-Art und der Kinetischen Kunst. Die Künstlergruppe trat erstmals 1961 mit der Ausstellung Nove Tendencije in Zagreb in Erscheinung. Vier Jahre später erreichte der durch die Neuen Tendenzen ausgelöste internationale Op-Art-Boom mit der Ausstellung The Responsive Eye seinen Höhepunkt.
The Responsive Eye war eine Op-Art-Ausstellung im Museum of Modern Art in New York City vom 23. Februar bis zum 25. April 1965, die von William C. Seitz kuratiert wurde. Seitz war Experte für den abstrakten Expressionismus und verfügte zudem über ein umfassendes Wissen über die optischen Systeme die Künstler des Surrealismus, Impressionismus, Neoimpressionismus und des Bauhauses anwandten. Für die Ausstellung wählte er 102 Künstler aus, die sich damit auseinandersetzten, wie das Auge auf Erfahrungen mit grundlegenden Elementen der Kunst wie Farbe, Form und Licht in Zeit und Raum reagiert.↓[1] Viele Künstler der Neuen Tendenzen waren direkt an der Ausstellung beteiligt. So stellten beispielsweise Mitglieder aus den Kollektiven GRAV, Gruppo N und Equipo 57 Arbeiten aus. Mit über 180.000 Besuchern war die Ausstellung zwar ein Publikumserfolg, die Mehrheit der Kritiker sah in den ausgestellten Op-Art Werken allerdings nicht mehr als reines Trompe-l'œil. Die begeisterte Aufnahme des breiten Publikums führte einerseits zur Etablierung der Op-Art als anerkannte und eigenständige Kunstströmung, andererseits allerdings auch zu einer raschen Kommerzialisierung der Op-Art. Zu den international bekanntesten Künstlern, die an der Ausstellung The Responsive Eye teilnahmen, gehörte neben Bridget Riley und Victor Vasarely auch Josef Albers. Albers war zum Zeitpunkt der Ausstellung bereits 77 Jahre alt und damit der älteste Teilnehmer. Der Künstler, Kunsttheoretiker und -Lehrer wird in der Kunstgeschichte meist eher dem Konstruktivismus oder der Konkreten Kunst als der Op-Art zugeschrieben, gilt aber aufgrund seiner jahrzehntelangen Forschung und Lehre über die Wirkung von Farbe und Form als einer der wichtigsten Pioniere der Kunstrichtung. Als Albers wichtigstes theoretisches Werk gilt das 1963 erschienene Buch "Interaction of Color", in dem er die Ergebnisse seiner Forschungen zur Wirkung von Farbe und Form festhielt. Mit seinen Überlegungen zu Optik und Wahrnehmung bereitete Albers damit die Op-Art-Bewegung der 1960er Jahre vor.↓[2]
Albers wohl bekanntestes Werk als Maler ist die Serie von Quadratbildern "Homage to the Square", von denen er ab 1950 bis zu seinem Tod 1976 über 2000 Variationen anfertigte. Die Bilder sind zwar in unterschiedlichen Maßen entstanden, das Grundprinzip bleibt dabei jedoch immer gleich. Drei bis vier Quadrate sind ineinander gestaffelt, allerdings sind die inneren Quadrate nicht nach dem Mittelpunkt ausgerichtet, sondern tendieren nach unten, sodass im oberen Bildbereich größere und im unteren Bildbereich kleinere Farbstreifen entstehen. In Homage to the Square hat Josef Albers die optische Wahrnehmung und Wechselwirkung von Farben in verschiedenen Konstellationen, sowie unterschiedlichste Farbphänomene untersucht. Das Quadrat als Ausgangsform wählte Albers, da er "den geringstmöglichen kompositorischen Aufwand, die Beschränkung auf das geometrische Element"↓[3] suchte. Schon seinen Schülern am Bauhaus lehrte Albers unter dem Begriff "Ökonomie der Mittel" die Relation von "effort" und "effect" zu optimieren. Obwohl Albers durch die Wahl des Quadrats als Bildgegenstand mit Künstlern wie Mondrian oder Malewitsch in der Tradition der Moderne steht, gilt er nicht nur als Vorreiter der Op-Art, sondern auch für die Hard Edge Malerei und durch seine serielle Arbeitsweise ebenfalls als Wegbereiter für die Minimal Art. Albers selbst begründete die serielle Arbeitsweise damit, dass es "nicht nur eine einzige Lösung gibt für ein ästhetisches Problem."↓[4]
Albers verwendete für Homage to the Square ausschließlich industriell hergestellte Farben, dessen genaue Bezeichnung er jeweils auf die Rückseite der Bilder schrieb. In der Einleitung von Interaction of Color schreibt Albers: "In visual perception a color is almost never seen as it really is – as it physically is. This fact makes color the most relative medium in art. In order to use color effectively it is necessary to recognize that color deceives continually". In Homage to the Square zeigt Albers den Gegensatz zwischen der physischen Materialität der Farbe und der subjektiven Farbwahrnehmung auf. In jedem Bild hat er die Farben anhand ihrer Interaktion und Relation zueinander ausgewählt.
In den Arbeiten der Serie "Structural Constellations", die Albers in den 1950er-Jahren begann, experimentierte er in Form von Zeichnungen und Drucken mit der visuellen Ambiguität bei der Wahrnehmung von geometrischen Figuren auf der zweidimensionalen Fläche. Albers betonte stets, sein Anliegen als Lehrer und Künstler sei es den Schülern bzw. den Betrachtern die "Augen zu öffnen". Die schlichten Zeichnungen wirken auf den ersten Blick wie einfache geometrische Figuren. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass die Bilder nicht nur auf eine Weise räumlich interpretierbar sind. Da Albers in den Zeichnungen zwar den Eindruck von Räumlichkeit vermittelt, es gleichzeitig aber verhindert Tiefenmerkmale der geometrischen Figuren aufzuzeigen, können die Bilder auf unterschiedliche Weise räumlich interpretiert werden.
Als Pionier der Op-Art und zum Zeitpunkt der Ausstellung bereits international renommierter Künstler, war Albers neben Victor Vasarely mit der größten Anzahl von Werken bei The Responsive Eye vertreten. Es wurden sowohl Werke aus der Serie Homage to the Square als auch aus der Serie Structural Constellations ausgestellt. Der Kurator Seitz betitelt Albers im Ausstellungskatalog als einen "Meister der Wahrnehmungsabstraktion".
Mit Rudolf Arnheim war bei der Ausstellungseröffnung von The Responsive Eye ein weiterer bedeutender Kunsttheoretiker vertreten. In Brian De Palmas Dokumentarfilm mit dem gleichnamigen Titel doziert Arnheim zu den ausgestellten Werken.
Arnheim studierte Gestaltpsychologie bei Max Wertheimer und Wolfgang Köhler, die gemeinsam mit Kurt Koffka als deren Begründer gelten, an der Universität Berlin. In seinem 1954 veröffentlichten Buch "Kunst und Sehen, eine Psychologie des schöpferischen Auges" wendet er die Gestalttheorie auf die Kunst an und erläutert damit bereits die illusorischen Effekte, die von den ausstellenden Künstlern bei The Responsive Eye gut ein Jahrzehnt später für ihre Werke angewandt wurden. Arnheim bezieht sich in Kunst und Sehen auf die gesamte Kunstgeschichte von der Steinzeit bis zur Moderne. Der Sehprozess wird psychologisch dargestellt und es wird erläutert, wie das Auge visuelles Material nach bestimmten psychologischen Prämissen organisiert. So wird beispielsweise auch der Wechsel der Wahrnehmungsperspektive in Josef Albers Structural Constellations von Arnheim bereits durch die Gestalttheorie erläutert.
Ebenfalls in der Ausstellung und dem Katalog von The Responsive Eye vertreten, ist der (damals noch nicht) weltberühmter Maler, Bildhauer und Drucker Victor Vasarely, der bei weitem als Vater des Stils der optischen Kunst gilt. Viele seiner Werke erinnern visuell an algorithmisch von Computern erstellte Arbeiten. Er wollte, dass die Künstler ein breiteres Publikum erreichen. Die treibende Kraft hinter seinen künstlerischen Praktiken war jedoch die Entdeckung der Mechanismen, die die visuelle Wahrnehmung steuern, und nicht die Unterhaltung an sich. Die von den Begründern der Gestaltpsychologie formulierte Wahrnehmungstheorie faszinierte ihn sehr. Vasarely interessierte sich dabei vor allem für die Art und Weise, wie das Auge die Bewegung in einem statischen Kunstwerk, die räumliche Tiefe in der Oberfläche eines Gemäldes oder die Grenzen der einzelnen Formen erkennt, insbesondere bei der Bestimmung dessen, was als Figur und was als Hintergrund wahrgenommen wird.↓[5] Diese Überlegungen finden sich bereits in seinen frühen figurativen Werken wie der Zebra-Serie aus 1937. Das erste Bild der Serie wird allgemein als eines der frühesten Beispiele der Op-Art angesehen. In der Serie beschränkt Vasarely seine Ausdrucksmittel auf ein abwechselndes Muster aus schwarzen und weißen Streifen, das die gesamte Bildfläche bedeckt. Auch in späten skulpturalen Werken, wie etwa SIR-RIS aus dem Jahr 1967, wird diese Technik von Vasarely verwendet.
In der Ausstellung Le Mouvement (Die Bewegung) 1955 in der Galerie Denise René in Paris wurden Werke der Künstler Yaacov Agam, Paul Bury, Alexander Calder, Marcel Duchamp, Robert Jacobsen, Man Ray, Jesús Rafael Soto, Jean Tinguely und ebenfalls auch Vasarely gezeigt. Letzterer veröffentlichte bei dieser Gelegenheit sein Manifeste Jaune (Gelbes Manifest), welches nach der Farbe des Papiers der Broschüre benannt ist. Es ist auf zwei Seiten in der von der Galerie herausgegebenen Broschüre zu Le Mouvement enthalten. In seinem Manifest vertrat Vasarely die Auffassung, dass die traditionelle Einteilung der Künste (in Malerei oder Skulptur und dergleichen) aufgehoben werden sollte. Er behauptete, die Avantgarde habe das Wesen der Kunst verändert, indem sie verschiedene Formen der plastischen Kunst durch ein Studium von Regeln ersetzt habe, die eine Definition der Realität im Akt des Betrachtens darstellten.↓[6]
Die Op-Art spielt im Wesentlichen mit illusionärer Bewegung, wie sie durch die Veränderung der relativen Positionen von Betrachter und Bild entsteht. Diese visuelle Kinetik beruht auf der Wahrnehmung des Betrachters, der von Vasarely als einziger Schöpfer der Wirkung des Werks angesehen wird.↓[7] Ein Großteil seiner späteren Arbeiten ist in leuchtenden Farben und einfachen geometrischen Formen in der Tradition des Bauhauses (Dreieck, Quadrat, Kreis) gehalten. Methodisch basieren seine Konstruktionen auf der Kombinatorik, Permutation und Variation. Folgerichtig nannte er sein Werk „serielle Kunst“. Im März 1959 erhielt Vasarely ein Patent für seine Methode der unités plastiques (Plastikeinheiten). Er beschränkte sein Repertoire auf eine bestimmte Auswahl an Farben und Formen. 1963 stellte Vasarely sein Repertoire unter dem Namen Folklore planetaire (Planetarische Folklore) der Öffentlichkeit vor. Angesichts des visuellen Repertoires ließ er seine Arbeiten von seinen Assistenten ausführen. Die Standardisierung der Elemente zusammen mit der Methode der Permutation schuf eine solide Grundlage für eine rein mechanische Realisierung weiterer Werke. Dies kommt einem algorithmischen Verfahren gleich, auch wenn Vasarely selbst nie ein Computer-Programm geschrieben hat.
Die Einzigartigkeit des Werkes wird, wie bei jeder algorithmischen Kunst, in Frage gestellt. Erst Vasarelys Sohn Yvaral (1934-2002) verwendete seit 1975 in gewissem Umfang Computer. Bevor Victor Vasarely 1930 nach Paris zog, studierte er etwa ein Jahr lang bei dem Künstler Sánor Bortnyik an der Mühely-Akademie in Budapest (einem ungarischen Pendant zum deutschen Bauhaus). Nach Abschluss seines Studiums emigrierte Vasarely nach Paris, wo er für Werbeagenturen arbeitete und Werbeplakate entwarf. 1929 bis 1944 ist die Werkphase seiner frühen Grafik. Vasarely experimentiert mit Struktureffekten, Perspektive, Schatten und Licht. Aus seiner frühen grafischen Periode stammen Werke wie Zebras (1937), Chess Board (1935) und Girl-power (1934). Von 1944 bis 1947 ist seine Phase Les Fausses Routes (Auf dem falschen Weg). In dieser Zeit experimentierte Vasarely mit kubistischen, futuristischen, expressionistischen, symbolistischen und surrealistischen Gemälden, ohne einen eigenen Stil zu entwickeln. Die folgende Phase von 1947 bis 1951 dient der Entwicklung der geometrisch-abstrakten Kunst. Im Oktober 1967 wurde Vasarely von dem Designer Will Burtin eingeladen, einen Vortrag auf Burtins Konferenz Vision‘67 an der New York University zu halten. Berühmte Sprecher dort sind unter anderem Max Bense, Umberto Eco und Willen Sandberg gewesen. Eines seiner größten Projekte ist die Fondation Vasarely in Aix-en-Provence, ein Museum, das in einem eigens von Vasarely entworfenen Gebäude untergebracht ist. Es wurde 1976 vom französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou eingeweiht, zwei Jahre nach Vasarelys Tod. 1982 schaffen es 154 Serigrafien Vasarelys mit an Bord des französisch-sowjetischen Raumschiffs Saljut 7 ins All gebracht und später zugunsten der UNESCO verkauft zu werden.
Vasarely vertrat und praktizierte das Konzept, dass der alleinige Künstler überholt sei, ein Konzept, das an die Beteiligung des Publikums appellierte. Das Konzept wurde später von seinem Sohn Yvaral aufgegriffen und bei einer ersten Veranstaltung dieser Art 1963, während der Biennale de Paris, konnten die Besucher durch von den Künstlern angelegte Labyrinthe gehen.↓[8] Dies war sicherlich ein Vorläufer der interaktiven Installationen. Der Sohn war später Mitglied der Künstlergruppe Groupe de Recherche d‘Art Visuel (Forschungsgruppe für visuelle Kunst), kurz GRAV.
Die GRAV wurde 1960 in Paris von einigen argentinischen Künstlern mit dem Ziel gegründet, eine Unterströmung im Bereich der visuellen Künste zu vereinen und eine neue Beziehung zwischen dem Publikum und dem Kunstwerk herzustellen. GRAV war keine Gruppe von Forschern, sondern eine Gruppe von Künstlern, die Forschung betrieben. Ihr Vorhaben war es, den aktuellen Kunstströmungen zu entkommen, die in einem einzelnen Maler gipfeln, und durch Teamarbeit zu versuchen, die verschiedenen Aspekte der visuellen Kunst zu klären. Die Mitglieder von GRAV wurden zeitweise als opto-kinetische Künstler bezeichnet. Gemeinsam gestalteten sie Environments, rasterartige Raumstrukturen und kinetische Objekte. Im Juli 1960 gründeten Hector Garcia Miranda, Horacio Garcia Rossi, Hugo Rudolfo Demarco, Julio Le Parc, Vera und Francois Molnár, Francois Morellet, Sergio Moyano, Servanes (Simone Revoil), Joel Stein, Francisco Sobrino und Yvaral (eigentlich Jean-Pierre Vasarely) das Centre de Recherche d‘Art Visuel, ein Zentrum für visuelle Forschung, in dem Künstler zusammenarbeiten konnten, um gemeinsame formale und theoretische Ziele zu verwirklichen. Im Sommer 1960 mieteten die jungen Künstler eine kleine Garage im Pariser Marais-Viertel, die ihnen einen gemeinsamen Begegnungs- und Ausstellungsraum bot. Das Zentrum wurde im Juli 1961 in Groupe de Recherche d‘Art Visuel umbenannt. Zu den Mitgliedern der Gruppe gehörten fortan Garcia Rossi, Le Parc, Morellet, Sobrino, Stein und Yvaral. Die Gruppe löste sich 1968 auf, und ihre Mitglieder setzten ihre visuellen Untersuchungen und Produktionen unabhängig voneinander fort.↓[9]
Im Oktober 1961 ergriff GRAV die Initiative und veröffentlichte eine programmatische Erklärung mit dem Titel Propositions générales, in der sie unter Bezugnahme auf die Neuen Tendenzen oder Nouvelle Tendance unter anderem Folgendes feststellte: „Das Publikum von Hemmungen und Deformationen in der Bewertung der Kunst zu befreien, die das Ergebnis des traditionellen Ästhetizismus sind, indem eine neue Situation zwischen dem Künstler und der Gesellschaft geschaffen wird. [...] Die Existenz unbestimmter Phänomene in der Struktur der visuellen Realität des Kunstwerks festzustellen und davon ausgehend neue Möglichkeiten zu konzipieren, die ein neues Feld der Untersuchung eröffnen.“ ↓[10]
Vom 4. bis 18. April 1962 stellte die von Francois Morellet mitbegründete Gruppe ihre Werke in der Maison des Beaux-Arts in Paris unter dem Titel L‘Instabilité aus. GRAV veröffentlichte in Zusammenarbeit mit der Galerie Denise René die Broschüre "Groupe de Recherche d‘Art Visuel. Paris 1962", in welcher der Text Nouvelle Tendance veröffentlicht wurde, in dem eine Liste der Mitglieder der Künstlergruppe Neue Tendenzen veröffentlicht wurde. Die Galerie Denise René hatte ihre Türen 1945 in Paris wenige Monate vor der Befreiung mit einer Ausstellung von Victor Vasarelys figurativen Arbeiten aus den späten 1930er Jahren geöffnet. Ab 1946 widmete sich die Galerie der Abstraktion und später der geometrischen Abstraktion. Sie sollte eine zentrale Rolle bei der Verbreitung dessen spielen, was später als kinetische Kunst und noch später als Op-Art bezeichnet wurde.↓[11]
Die Mitglieder der GRAV trugen maßgeblich zur Weiterentwicklung der Neuen Tendenzen bei. So luden sie im November 1962 den frisch gegründeten französischen Flügel Nouvelle Tendance in ihr Studio nach Paris ein. Kurz darauf folgte nove tendencije 2 im Sommer 1963. Nach der zweiten Zagreber Ausstellung traf sich eine Gruppe der beteiligten Künstler, die meisten davon auch Mitglieder der GRAV. Kurz darauf wurden drei Dokumente verschickt: Bulletin No. 1, Nouvelle Tendance – recherche continuelle. Evolution de sa composition und Proposition pour un règlement de la N. T., alle verfasst von Gerhard von Graevenitz. In diesen Dokumenten versuchte die Gruppe von Künstlern und Theoretikern, den informellen Zusammenschluss der Neuen Tendenzen inhaltlich zu definieren und Regeln für die Kommunikation und Entscheidungsfindung festzulegen. Hervorzuheben ist die genaue Auflistung der Mitglieder und vor allem die begründete Liste von Ausladungen an diverse Künstler, unter anderem an die Düsseldorfer Gruppe ZERO. Die Verbreitung der Publikationen unter dem neuen Namen Nouvelle Tendance - recherche continuelle betonte den experimentellen Charakter der künstlerischen Arbeit.
Ein Ereignis im Jahr 1963 zeigt dabei die besondere Verbundenheit von GRAV zum Netzwerk der Neuen Tendenzen. GRAV erhielt eine Einladung, als Gruppe im Musée des Arts Decoratifs in Paris auszustellen. Stattdessen schlug GRAV dem Leiter des Museums vor, eine Ausstellung mit allen Künstlern der Nouvelle Tendance - recherche continuelle zu organisieren. Der Vorschlag wurde angenommen, und die Ausstellung Propositions visuelles du mouvement international Nouvelle Tendance wurde im April 1964 im Pavillon de Marsan des Louvre eröffnet. Der Schweizer Künstler und Designer Karl Gerstner schrieb einen kurzen Text für den Katalog zur Ausstellung, in dem er die Nouvelle Tendance vorstellte. Gerstner, der bis 1964 bereits mehrere Bücher - darunter Kalte Kunst (1957), Die neue Graphik (1959) und Programme entwerfen (1963) - veröffentlicht hatte, leitete zu dieser Zeit mit Markus Kutter und Paul Gredinger eine internationale Werbeagentur.
Auch wenn Max Bense den Begriff der Programmierung schon früh in Künstlerkreisen einführte, war seine starke Präsenz innerhalb der Neuen Tendenzen ab 1963 eindeutig eine Folge der Wanderausstellung Arte Programmata, deren Titel von Bruno Murani und Umberto Eco verfasst wurde. Gruppo T, Gruppo N, Enzo Mari und GRAV - allesamt Künstler, die die Neuen Tendenzen entscheidend geprägt haben - nehmen an der Schau teil. Die Ausstellung, die zunächst in den Verkaufsräumen von Olivetti in Mailand stattfand, bevor sie an Olivetti-Standorten in Venedig, Rom und Düsseldorf präsentiert wurde und schließlich auch durch die USA tourte, zeigte Werke, die visuelle Effekte erzeugten, wenn der Betrachter seinen Blickwinkel veränderte; und doch wurde der Eindruck der gesamten Ausstellung von kinetischen Objekten bestimmt, die vom Betrachter manipuliert werden konnten oder von einfachen Motoren angetrieben wurden.
In den folgenden Jahren wurde das Konzept des aktivierten Betrachters in den Environments von GRAV (aber auch z. B. von Gruppo T) radikalisiert. Die Untergrabung des Verhältnisses zwischen Künstler und Betrachter war Teil des größeren Unterfangens der Neuen Tendenzen, die Kunst zu entmystifizieren.↓[12]
Das Ehepaar Molnar verließ die Gruppe bereits im November 1960, wenige Monate nach Veröffentlichung des Gründungsmanifests. In der kurzen Zeit der Zusammenarbeit, vor allem mit Francois Morellet, entstand eine der wichtigsten Publikationen der Gruppe. Francois Molnar hatte Malerei in Budapest und experimentelle Psychologie in Paris studiert. 1962 begann er am Institut d‘esthetique et des sciences de l‘art (Institut für Ästhetik und Kunst) an der Sorbonne zu arbeiten. Molnar wollte eine neue Kunstwissenschaft entwickeln, die sich an den experimentellen Methoden und Standards der Naturwissenschaften orientieren sollte. Er machte Morellet mit einer Reihe von Modellen und Theorien bekannt, darunter auch die Informationstheorie, wie sie von Abraham A. Moles und Max Bense popularisiert wurde. Der Text von Molnar und Morellet mit dem Titel Pour un art abstrait progressif wurde im Rahmen der Ausstellung nove tendencije 2 als eigenständige Publikation zusätzlich zum Katalog veröffentlicht.↓[13]
In der Publikation legen beide ihre Hauptkritikpunkte an der abstrakten Kunst dar und lassen Einflüsse von der Semiotik erkennen. Abstrakte Kunst sei mystifiziert und könne nicht leicht verstanden werden. Das solle sich ändern. Betrachter versuchen, ein abstraktes Werk zu verstehen und fragen sich, was es bedeuten würde, aber abstrakte Kunst bedeute gar nichts; sie sei nur ein Zeichensystem, das auf nichts als auf sich selbst verweise, schreiben Morellet und Molnar.↓[14]
Hervorzuheben ist der Abschnitt über die Untersuchung der Wahrnehmung des visuellen Werks. Sie stellen fest, dass die Formwahrnehmung sowohl vom Reiz als auch von der Einstellung des Empfängers abhängt, in diesem Fall vom Auge des Betrachters. Die Schwierigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass unser Auge nicht nur ein unbestimmter optischer Empfänger mit einer konstanten, ein für alle Mal eingestellten Empfindlichkeit ist, sondern stark von allen Facetten unserer Individualität beeinflusst wird. Dazu zählen Erinnerungen, Interessen, Emotionen und Motivationen. Folglich hängt unsere Wahrnehmung von Formen auch in hohem Maße von sozialen Faktoren ab.↓[15]
Die Beziehungen zwischen dem Auge und den diversen kortikalen und subkortikalen Zentren sind ebenso wie die Beziehungen zwischen dem Individuum und der Gesellschaft komplex und schwer zu untersuchen. Wenn wir uns einem komplexen Phänomen nähern, ist es legitim, einige Elemente auszuwählen und sie separat zu untersuchen, vorausgesetzt, wir vergessen nicht, dass sie Teil eines viel größeren Ganzen sind. Selbst wenn wir nur die Beziehung zwischen Bild und Auge untersuchen, stoßen wir auf bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die für den Aufbau einer wissenschaftlichen Ästhetik der Malerei von großem Interesse sind.↓[16]
Bei der linken Form in der nebenstehenden Abbildung (a) sehen wir entweder ein weißes Kreuz auf schwarzem Grund oder ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund. Bei der Form rechts (b) sehen wir in der Umkehrperspektive von Heinrich Georg Friedrich Schröder entweder eine aufsteigende Treppe oder die Unterseite einer absteigenden Treppe. Und all dies sei völlig unabhängig von unserem Willen, unseren Gefühlen oder unserem Wissen und unabhängig von jeglichem sozialen Einfluss, schreiben Morellet und Molnar.↓[17] In der gleichen Reihenfolge der Ideen, aber auf einer viel höheren Ebene, könnten wir ein Gemälde der Neuen Tendenz (zB Trames von Francois Morellet, 1960) erwähnen, das aus vollkommen geraden Linien in Rastern besteht, die eine mit Zirkeln gezogene Rosette zu bilden scheinen. Obwohl wir wissen, dass es aus geraden Linien besteht, bleibt der Eindruck von Kurven bestehen.
bschließend kann man festhalten, dass der Künstler schließlich nur ein Individuum ist. Er kann sich den gesellschaftlichen Zwängen nicht entziehen und sollte sich nicht in den Elfenbeinturm des Genies einschließen, so Morellet und Molnar. Die Informationstheorie, die Morellet und Molnar kurz erwähnt haben, ist nur ein Beispiel. Es gibt andere, ebenso konkrete Forschungsrichtungen. Das Wesentliche ist, dass man bei der Anfertigung visueller Arbeiten und deren kritischer Prüfung nicht in die trüben Tiefen der Metaphysik hinabsteigen muss. Sie haben dargelegt, dass sie auf jeder Ebene ihrer Untersuchung konkrete Beziehungen gefunden haben, die von Regeln bestimmt werden. Gerade auf der Grundlage solcher Gesetze will die Neue Tendenz die Kriterien für den Erfolg ihrer Experimente finden. Vielleicht haben sie sich ein wenig zu lange mit der Untersuchung des visuellen und sozialen Bereichs beschäftigt und sind vielleicht ein wenig zu technisch gewesen, aber sie haben nur einige Probleme angesprochen und die gesamte mathematische Dimension außer Acht gelassen. Morellet und Molnar wollten zeigen, dass in dem von der Neuen Tendenz verfolgten Ansatz kein Platz für Mystifizierung ist. Ganz im Gegenteil, durch seine Entschlossenheit, die Beziehungen zwischen Werk, Auge und Gesellschaft klar darzustellen und zu überwachen, entspricht dieser Ansatz den neuesten Theorien der damals zeitgenössischen Wissenschaft.↓[18]
Die Organisatoren der Neuen Tendenzen sahen durch die rasche Kommerzialisierung der Op-Art ihr Ziel, Kunst als Forschung zu etablieren, in Gefahr und so beschlossen sie, ihre Strategie zu überarbeiten und riefen im Sommer 1968 im Rahmen der vierten Ausstellung, Tendencies 4, das Programm Computer and Visual Research ins Leben. Die Bewegung beschloss, den Computer als Medium der künstlerischen Arbeit in ihr Programm aufzunehmen und damit ihren avantgardistischen Anspruch zu bekräftigen und zur Definition einer Technologie beizutragen, von der man zu Recht annahm, dass sie die Zukunft der Zivilisation bestimmen würde.↓[19]
ANMERKUNGEN
[1] Casten Nicolai – Flash Art [↗]
[2] LWL Münster [↗]
[3] Wissmann, Jürgen: Josef Albers, Aurel Bongers, 1973
[4] ebenda
[5] Museum of Modern Art Warsaw [↗]
[6] compart [↗]
[7] ebenda
[8] compart [↗]
[9] ICAA (International Center for the Arts of the Americas) [↗]
[10] Denegri, Jerko: The Conditions and Circumstances That Preceded the Mounting of the First Two New Tendencies Exhibitions in Zagreb 1961–1963, in: A Little-Known Story About a Movement, a Magazine, and the Computer's Arrival in Art, Margit Rosen, MIT Press, 2011, S. 21
[11] Galerie Denise René [↗]
[12] Rosen, Margit: The Art of Programming, in: A Little-Known Story About a Movement, a Magazine, and the Computer's Arrival in Art, Margit Rosen, MIT Press, 2011, S. 35
[13] Molnar, Franois / Morellet, Francois: For a Progressive Abstract Art, in: A Little-Known Story About a Movement, a Magazine, and the Computer's Arrival in Art, Margit Rosen, MIT Press, 2011, S. 136
[14] ebenda, S. 137
[15] ebenda, S. 141
[16] ebenda, S. 141
[17] ebenda, S. 142
[18] ebenda, S. 142
[19] Monoskop [↗]