Nachdem die Bewegung der Neuen Tendenzen nach den Ausstellungen der Reihe Tendencies 4 1968/69 etwas von ihrem Schwung verloren hat, wurde 1973 mit der fünften Ausstellung Tendencies 5 ein weiterer Versuch gestartet, die Neuen Tendenzen auf eine nächste Entwicklungsstufe zu bringen. Mit dem übergeordneten Thema "The Rational and the Irrational in Visual Research" wurde in drei Rubriken ausgestellt. In der Rubrik "constructive visual research" wurden erstmals Arbeiten von zum Beispiel Victor Vasarely im Kontext der Neuen Tendenzen gezeigt. Im Bereich "computer visual research" stand der Galerie Herbert W. Franke als Berater zur Seite und traf die Auswahl der gezeigten Künstler. In der letzten Rubrik "conceptual art" wurden erstmalig Protagonisten aus den USA und dem westlichen Europa zusammen mit jugoslawischen und ungarischen Künstlern präsentiert. Etwa drei Jahre vor der Eröffnung der Ausstellung Tendencies 5, wurde die Ausstellung „Software - Information Technology: Its New Meaning for Art“ eröffnet. Die Ausstellung die vom Künstler und Kunstkritiker Jack Burnham kuratiert wurde, fand vom 16. September 1970 bis zum 08. November 1970 im Jewish Museum in Brooklyn, New York City und vom 16. Dezember 1970 bis zum 14. Februar 1971 im Smithsonian in Washington D.C. statt.
Die Ausstellung brachte Konzeptkünstler mit dem Computer zusammen und verband sie durch die Idee der Software als Prozess oder Programm, das von einer Maschine oder dem Publikum auf der Grundlage von durch Künstler formulierte Instruktionen ausgeführt werden sollte.↓[1] Im Gegensatz zur Computerkunst-Ausstellung Cybernetic Serendipity, die ungefähr zwei Jahre zuvor in London stattgefunden hat, konzentrierte sich Software nicht auf die ästhetische Anwendung technologischer Apparate, sondern auf die Idee der Software als Metapher für die Kunst. Der Computer (die Hardware) als die Maschine, die bestimmte Operationen ausführt, die schließlich zu einem sichtbaren oder hörbaren Artefakt und damit zu einem wahrnehmbaren Werk führen, das als Kunstwerk anerkannt werden kann, trat in dieser Ausstellung hinter die Beschreibung (die Software) der Operationen zurück, die der Computer ausführt.↓[2]
Es wurden Arbeiten von 26 Künstlern und Künstlergruppen gezeigt, von denen viele später zu bekannten Konzeptkünstlern werden sollten. So stellten unter anderem John Baldessari, Robert Barry, Hans Haacke, Joseph Kosuth und Lawrence Weiner Werke aus. Im Ausstellungskatalog zu Software beschreibt der Kurator Burnham Cybernetic Serendipity als eine „umfassende Ausstellung im Bezug auf den kreativen Einsatz von Computern und verschiedenen kybernetischen Geräten“ in Form eines „historischen Resümees“.↓[3] Software hingegen, sollte nun im Anschluss daran, „weder als Demonstration von technischem Know-How noch als Kunstausstellung“ verstanden werden. Stattdessen demonstriere die Ausstellung „die Wirkung der zeitgenössischen Steuerungs- und Kommunikationstechniken in den Händen von Künstlern.“↓[4] Außerdem mache die Ausstellung keinen Unterschied zwischen Kunst und Nicht-Kunst, die Notwendigkeit, solche Entscheidungen zu treffen, bleibe jedem Besucher selbst überlassen. Das Ziel der Ausstellung sei „die Sensibilität auf den am schnellsten wachsenden Bereich der Kultur zu lenken: Informationsverarbeitungssysteme und ihre Geräte.“↓[5] Des Weiteren führte Burnham aus: „So ist es vielleicht nicht die Aufgabe von Computern und anderen Telekommunikationsgeräten, Kunst, wie wir sie kennen, zu produzieren, aber sie werden dazu beitragen, den gesamten Bereich der ästhetischen Wahrnehmung neu zu definieren.“↓[6] Obwohl Burnham mit dieser Aussage in vielerlei Hinsicht Recht behalten sollte, war die Ausstellung von Beginn an von Problemen geplagt. Ein kurzgeschlossener Computer zerstörte während der Eröffnung einige elektronische Geräte und funktionierte erst einen Monat nach Beginn der Ausstellung wieder. Außerdem gab es von einigen Künstlern Vorwürfe der Zensur gegenüber dem Museum. Die Künstler Les Levine und John Giorno drohten damit ihre Werke aus der Ausstellung zurückzuziehen, da das Museum sie zensiert habe. Der Musemsdirektor Karl Katz wies die Vorwürfe zurück.↓[7] Trotz dieser Probleme war die Ausstellung wegweisend. Auch die Tendenzen gingen wenig später in Tendencies 5 dazu über, Konzeptkunst als nächsten Schritt in ihr Programm aufzunehmen.
Eine weitere wegweisende Ausstellung für die Konzeptkunst fand 1970 im MoMA New York statt. Vom 02. Juli bis zum 20. September wurde dort die von Kynaston McShine kuratierte Ausstellung "Information" gezeigt. 100 amerikanische und europäische Künstler, darunter Lawrence Weiner, Joseph Kosuth, die Künstlergruppe Art & Language, Joseph Beuys und Yoko Ono, stellten Videos und Installationen aus.
Ebenfalls beteiligt war die amerikanische Kunsttheoretikerin und -kritikerin Lucy R. Lippard, die mit ihren Texten zur Dematerialisierung der Kunst eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Konzeptkunst spielte. In einem 2020 im Magazin des MoMA New York erschienenen Artikel mit dem Titel "50 Years Later, a Conceptual Art Exhibition Still Courts Controversy" bezeichnete Lippard die Ausstellung als "Meilenstein", allerdings nicht, weil sie die erste ihrer Art war, sondern weil sie die erste Konzeptkunstausstellung im MoMA war.↓[8] Darüber hinaus stellte die Ausstellung eine drastische Abweichung von der üblichen Linie des Museums dar. Ein Großteil der ausgestellten Werke war prozessorientiert, viele Arbeiten waren politisch und erforderten die Beteiligung der Besucher. Hans Haackes berüchtigte Installation mit dem Titel "MoMA Poll" forderte die Besucher der Ausstellung auf, über die Frage "Wäre die Tatsache, dass Gouverneur Rockefeller Präsident Nixons Indochina-Politik nicht angeprangert hat, ein Grund, im November nicht für ihn zu stimmen?" mit Ja oder Nein abzustimmen. Da Nelson Rockefeller ein wichtiger Geldgeber und Vorstandsmitglied des MoMA war, kritisierte Haacke damit gleichzeitig die politischen Verbindungen des Museums, in dem die Installation ausgestellt wurde. Am Ende der Ausstellung wurden etwa doppelt so viele Ja-Stimmen wie Nein-Stimmen abgegeben. Haackes Installation gilt als ein frühes Beispiel für Institutionskritik in der Kunst.↓[9]
Zu den ausstellenden Künstlern bei Information gehörte auch Sol LeWitt. Der amerikanische Künstler gilt als Begründer des Begriffs "conceptual art". In den 1960er Jahren wurde LeWitt von der Kunstkritik meist der Minimal Art zugeordnet, obwohl er selbst diesen Begriff ablehnte. In seinem Manifest „Paragraphs on Conceptual Art" von 1967 distanziert sich LeWitt von der Minimal Art und bezeichnet seine Kunst erstmals als "conceptual art". In seiner Schrift erklärte er, dass in der Konzeptkunst die Idee oder das Konzept eines Kunstwerkes wichtiger sei als das realisierte, materiell existierende Werk. Die Idee müsse jedoch nicht unbedingt kompliziert oder logisch sein. Konzeptuelle Kunstwerke seien für den Betrachter in erster Linie intellektuell interessant, im Gegensatz zur „perceptual art“, die für den Betrachter in erster Linie visuell interessant sei.↓[10]
Zu LeWitts bekanntesten konzeptuellen Kunstwerken gehört „Variations of Incomplete Open Cubes“, ein serielles Werk, das aus 122 Variationen von Würfeln besteht, denen jeweils mindestens eine Kante fehlt. LeWitt hat dabei folgende Regeln aufgestellt: Jede Variation muss dreidimensional sein (mindestens drei Kanten müssen vorhanden sein); die Struktur muss zusammenhängend sein; zwei Variationen gelten als unterschiedlich, wenn sie sich durch eine Spiegelung unterscheiden, aber als identisch, wenn sie sich durch eine Rotation unterscheiden. Dieses Konzept wurde von LeWitt in einer Vielzahl von Medien umgesetzt. Neben den bekannten weiß lackierten Aluminiumskulpturen sind auch Zeichnungen, Fotografien, Künstlerbücher und kleinere Holzmodelle entstanden. Die Übersetzung desselben Konzepts in verschiedene Maßstäbe und Medien ist ein wichtiger Aspekt von LeWitts konzeptioneller Arbeitsweise. Für ihn sind auch Skizzen, Notizen und Modelle dem realisierten Werk gleichgestellt.
LeWitts konzeptionelle Arbeitsweise zeigt sich unter anderem darin, dass seine Strukturen (LeWitt bevorzugte den Begriff "structures" anstelle von "sculptures" für seine räumlichen Arbeiten) industriell hergestellt werden. Ein Eingreifen des Künstlers selbst ist bei der Realisierung des Kunstwerks nicht notwendig, da das Konzept der realisierten Arbeit übergeordnet ist. Die "Open Cubes" aus Aluminium (früher auch aus Stahl oder Holz) sind stets weiß lackiert, so dass visuell kein Rückschluss auf das Material gezogen werden kann. LeWitts berüchtigtes Zitat "the idea becomes the machine that makes the art."↓[11] wird in dieser Arbeit deutlich. Ausgehend von einer relativ einfachen Idee entsteht eine Vielzahl von unterschiedlichen Arbeiten. Obwohl das Konzept einer in sich geschlossenen Logik folgt, scheint die Prämisse des Konzepts irrational. Für LeWitt ist dies jedoch kein Widerspruch. Er schrieb: „Irrational thoughts should be followed absolutely and logically.“↓[12] Der Text "Sentences on conceptual art", dem dieses Zitat entnommen ist, erschien im Mai 1969 in der ersten Ausgabe der Publikation "Art-Language" der Künstlergruppe Art & Language. In dem Text hat LeWitt in 35 kurzen Sätzen seine Position zur Konzeptkunst erweitert. Die Vielfalt in LeWitts künstlerischem Schaffen wird besonders in seinen Wall Drawings deutlich. Zwischen 1968 und 2007 hat LeWitt über 1200 dieser Wandzeichnungen entworfen. Das erste Werk dieser Art fertigte er 1968 in der Paula Cooper Gallery in New York noch selbst an, später entwarf er nur noch die Konzepte, die anschließend von Assistenten umgesetzt wurden. Die Vielfalt der Wall Drawings wird durch LeWitts Einsatz unterschiedlichster Medien sowie durch die ständige Erweiterung seines Formenrepertoires deutlich. Zu Beginn arbeitete er vor allem mit einfachen geometrischen Formen und Linien, später mit komplexeren und weniger strengen Figuren und Formen, die er selbst als "continuous forms" bezeichnete. LeWitt verglich sich in seiner Rolle für die Wall Drawings, deren Konzepte er entwarf, aber nicht selbst ausführte, mit der eines Komponisten, der ein Musikstück schreibt, das von verschiedenen Musikern gespielt werden kann, wobei das geistige Eigentum immer beim Künstler (bzw. Komponisten) bleibt. Das Konzept (bzw. das Musikstück) bleibt dabei immer dasselbe, doch die Ausführung ändert sich jedes Mal.↓[13] Anhand der Wall Drawings wird LeWitts Grundgedanke, dass die Idee oder das Konzept dem realisierten Werk übergeordnet ist, besonders deutlich. Da die Arbeiten direkt an der Wand ausgeführt werden, erhält der Käufer anstelle des fertigen Werks ein Zertifikat, das in der Regel ein Diagramm und die Instruktion zur Ausführung des Werks enthält. Der Erwerb eines solchen Zertifikats berechtigt den Eigentümer, die jeweilige Wandzeichnung an einer beliebigen Wand rekonstruieren zu lassen. In den frühen Wall Drawings wurden die verschiedenen Arten der Darstellung einer geraden Linie - vertikal, horizontal, diagonal von links nach rechts und diagonal von rechts nach links - und die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Kombination dargestellt. Das erste Wall Drawing besteht aus 32 gleich großen Quadraten, in denen LeWitt alle Möglichkeiten aufzeigt, jeweils zwei der vier möglichen Arten von geraden Linien zu kombinieren. Später erweiterte LeWitt sein Repertoire und beschränkte sich nicht mehr nur auf gerade Linien. So entstanden Werke wie "Wall Drawing #86", dessen Instruktion „ten thousand lines about 10 inches (25 cm) long covering the wall evenly“ lautet. Bei dieser Art von Wandzeichnung hat der ausführende Assistent eine gewisse Freiheit bei der Umsetzung. Der Zeichner ist nur angewiesen, die Länge der Linien und die Gleichmäßigkeit der Verteilung einzuhalten, andere Aspekte, z. B. wie oft sich die Linien überschneiden, sind dem Zeichner überlassen. Infolgedessen ergibt jede Rekonstruktion des Wall Drawings ein anderes Bild.↓[14]
In den 1970er Jahren erweiterte LeWitt sein Formenrepertoire erneut und integrierte geometrische Formen. Diese beschränkten sich zunächst auf Primärformen, die er als Kreis, Quadrat und Dreieck definierte, doch schon bald ergänzte er Sekundärformen wie Rechteck, Trapez und Parallelogramm. Diese sechs (später neun) geometrischen Formen werden in LeWitts Wandzeichnungen von da an immer wieder verwendet, so zum Beispiel im Wall Drawing #295. Die Instruktion für dieses Wall Drawing lautet: „Six white geometric figures (outlines) superimposed on a black wall.“ Neben den geometrischen Formen kommt hier auch die Überlagerung zum Einsatz, die LeWitt bereits in seinen frühen Wall Drawings zur Erweiterung der Kombinationsmöglichkeiten von geraden Linien nutzte. Die von LeWitt definierten Primär- und Sekundärformen werden innerhalb des Quadrats überlagert, wodurch strukturelle Gemeinsamkeiten der Formen sichtbar werden.↓[15]
Während LeWitt die Grenzen der etablierten Kunstgattungen Malerei und Skulptur zwar überschreitet, um Übergänge und Beziehungen zwischen ihnen herzustellen, benutzt er dennoch kunst-typische Medien und Zeichen. Im Gegensatz zu LeWitt integrieren Künstler wie Joseph Kosuth Zeichen und Medien in ihr künstlerisches Werk, die noch als kunst-fremd galten.↓[16]
Auf die Frage "Was ist Kunst?" gibt es zwei Antworten von Konzeptuellen Künstlern. In erster Variante definiert der Künstler den Status eines Gegenstandes oder einer Zeichenkombination als Kunst. Die zweite Form der Kunst wird als Praxis der Kommunikation über Kunst verstanden, in der es viele Antworten geben kann. Die erste, Marcel Duchamp folgende These vertrat Joseph Kosuth 1969 in "Art after Philosophy" in einer sprachphilosophisch erneuerten Fassung, die zweite These diskutierten die amerikanischen und englischen Mitglieder der Künstlergruppe Art & Language seit 1966 in immer neuen Anläufen, jeweils abhängig vom Kenntnisstand über sprachphilosophische Argumentationsweisen.↓[17]
Joseph Kosuth ist amerikanischer Künstler, Theoretiker und Hauptvertreter der Konzeptkunst. Er ist bekannt für sein Interesse an der Beziehung zwischen Worten und Objekten, zwischen Sprache und Bedeutung in der Kunst. Kosuth studierte an der Toledo Museum School of Design (1955-62), am Cleveland Institute of Art (1963-64) und an der School of Visual Arts in New York (1965-67), wo er inoffizielle Kurse mit Ad Reinhardt, Donald Judd und Sol LeWitt organisierte. 1965 schuf er sein erstes konzeptuelles Werk "One and Three Chairs", das einen echten Stuhl, dessen Foto und einen Text mit der Definition des Wortes Stuhl zeigte. Dieses Werk war ein Meilenstein in der Entwicklung der westlichen Kunst und leitete einen Trend ein, der die Idee oder das Konzept eines Werks gegenüber einem physischen Objekt bevorzugte.↓[18]
Die Beziehung, die die Alltagssemantik zwischen den vier Elementen (Begriff "Stuhl", Wörterbuch-Definitionen, Gegenstand und Abbild) herstellt, kann als eine bestimmte Beziehung von semantischen Feldern zueinander dargestellt werden, nämlich als Inklusion.↓[19]
Kosuths Werk ist durchdrungen von Literatur und Philosophie. Er hat sich unter anderem auf die Theorien von Platon, Sigmund Freud und Ludwig Wittgenstein bezogen. Sein Buch "Art after Philosophy" wird allgemein als ein Manifest der Konzeptkunst angesehen. Unter Bezugnahme auf die von Wittgenstein geprägte Philosophie behauptet Kosuth, die Kunst ist mit einem sprachlichen System wie der Logik oder der Mathematik vergleichbar.↓[20]
Ein für Kosuth typisches Material ist die Neonröhre, mit der er die Titel von Werken wie "Five Words in Green Neon" (1965) oder "Five Fives (to Donald Judd)" (1965) schrieb. Neonröhren sind für Kosuth ein Material, das er sich angeeignet hat, da er es als eine Form des öffentlichen Schreibens ohne Assoziationen zur bildenden Kunst betrachtet, das traditionell mit der Populärkultur assoziiert wird.↓[21] Ab 1968 unterrichtete er an der School of Visual Arts in New York und lehrte auch in Deutschland und Italien. In den Jahren 1970-79 war er in den USA Redakteur der Zeitschrift Art-Language: The Journal of Conceptual Art.
Ähnlich wie Joseph Kosuth arbeitete auch der amerikanische Konzeptkünstler Lawrence Weiner vor allem mit kunstexternen Zeichen und Medien. Textbasierte Arbeiten überwiegen. Er gilt ebenfalls als eine zentrale Figur bei der Gründung der Konzeptkunst in den 1960er Jahren. Sein erstes bekanntes Werk "Cratering Pieces" aus 1960 ist ein skulpturales und erdgebundenes Experiment. Ohne Genehmigung ließ Weiner in einem kalifornischen Park eine Reihe von Sprengsätzen detonieren, deren Ergebnisse er als Skulpturen deklarierte. Diese Art von Kreativität gegen das Establishment legte den Grundstein für seine radikale Karriere. Etwa zu dieser Zeit begann Weiner auch mit der Arbeit an den Propeller-Gemälden (1960-65), die von den Testmustern inspiriert waren, die nachts, wenn kein Programm lief, auf dem Fernsehbildschirm erschienen. Er verwendete jede Art von Farbe, die er finden konnte.↓[22]
Lawrence Weiner wurde durch frühe Gruppenausstellungen Konzeptueller Kunst, die der Galerist Seth Siegelaub zusammenstellte, bekannt. In einem Statement, das im Katalog zu Siegelaubs Ausstellung "January 5-31, 1969" zum ersten Mal publiziert wurde, systematisiert Weiner die in Robert Watts´ Definition des "Events" (1964) enthaltene Relationierung von Konzept und Realisation. Weiner erklärt in diesem Statement, das den Status seiner Textwerke festlegt und seither seine Präsentationen (von Ausführungen und/oder Notationen) begleitet. Im selben Jahr (in dem der Künstlerkollege Sol LeWitt seine "Paragraphs on Conceptual Art" schrieb) veröffentlichte Siegelaub das bahnbrechende Buch Statements, eine Sammlung von 24 maschinengeschriebenen Verfahren, die bei der Herstellung eines Kunstwerks zu befolgen sind. Das Buch, das in Siegelaubs Galerie für 1,95 Dollar verkauft wurde, enthält keine Illustrationen, und einige der beschriebenen Werke wurden nicht hergestellt.↓[23]
Eine Hauptmotivation für Weiners Arbeit war der Wunsch, sie zugänglich zu machen, ohne dass man eine Eintrittskarte kaufen oder eine geheime visuelle Sprache verstehen muss. Er vertrat die Ansicht, dass Sprache ein breiteres Publikum erreicht, und dass die Verortung von Sprache in Kontexten außerhalb der traditionellen Kunstbetrachtung, wie z. B. in Kunstmuseen, diese Reichweite noch erhöht. So begann er, Werke aus Wörtern und Sätzen oder Satzfragmenten zu schaffen, die er im öffentlichen Raum, in Büchern, Filmen und anderen zugänglichen Medien ausstellte und damit die kulturellen Institutionen ausschaltete, die ein breites und vielfältiges Publikum abschrecken könnten.↓[24] Stellvertretend für Weiners Zugänglichkeit dient die Grafik Learn To Read Art aus dem Katalog von Ausstellung Nr. 17, die 1989 im Portikus in Frankfurt am Main veranstaltet wurde und die Künstlerbücher von Lawrence Weiner aus dem Zeitraum von 1968 bis 1989 zeigte.↓[25]
Lawrence Weiners Arbeit trug zur so genannten "Entmaterialisierung des Kunstobjekts" bei, die 1973 von der Kritikerin Lucy Lippard definiert wurde. Dabei ging es um die Ersetzung visueller und dreidimensionaler Formen durch sprachliche Ideen als primäre Substanz der Kunst. Diese Geste, die Weiners Praxis ab 1968 bestimmte, hatte großen Einfluss auf die moderne Kunst des späten 20. Jahrhunderts, vom Post-Konzeptualismus und Post-Minimalismus bis zur Buchkunst, Performance-Kunst und mehr. Weiners Philosophien und seine Arbeit haben viele Künstler beeinflusst, darunter Jenny Holzer, Barbara Kruger, Felix Gonzalez-Torres und Liam Gillick, mit dem er zusammenarbeitete.↓[26] Obwohl er als Konzeptkünstler eingestuft wurde, lehnt Weiner diese Bezeichnung ab, die er als eine weitere Form des Elitismus betrachtete, und sieht sich stattdessen als Bildhauer. Für Weiner besaß die Sprache eine materielle Realität. Auf diese Weise unterscheidet sich sein Sprachgebrauch von dem von Barbara Kruger oder Jenny Holzer, die Sprache eher als Aufruf zu den Waffen oder als Mittel zum Aufzeigen von Machtstrukturen innerhalb der Gesellschaft und nicht als Objekt an sich verwenden.↓[27]
Noch radikaler in ihrem Ansatz ist die englisch-amerikanische Künstlergruppe Art & Language, die weitestgehend davon absieht, Kunstwerke im traditionellen Sinn zu produzieren. Stattdessen präsentieren sie ihre kunsttheoretischen Schriften selbst als Kunstwerk. Ihren Ursprung hat Art & Language in der Zusammenarbeit von Terry Atkinson und Michael Baldwin, die sich 1966 als Studenten am Coventry College of Art kennen lernten. Bald schlossen sich weitere Mitglieder dem Künstlerkollektiv an, und 1968 gründeten sie den Verlag "Art & Language Press" in Cambridge, wo sie ein Jahr später ihre erste Publikation, die Zeitschrift "Art - Language", herausbrachten.↓[28] In der ersten Ausgabe von „Art - Language“ wurden u.a. Sol LeWitts „Sentences on conceptual art“ und Lawrence Weiners "Statements" veröffentlicht. Die frühen Ausgaben von „Art - Language“ übten bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der Konzeptkunst in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien aus.
Erklärtes Ziel der Künstlergruppe ist es, mit ihrer Forschung zu einer Entmystifizierung der Kunst beizutragen. Bis Ende der 1970er Jahre weigerten sich die beteiligten Künstler weitestgehend, Kunstwerke im traditionellen Sinne zu produzieren und verstanden stattdessen den Diskurs über Kunst selbst als eine Form der Kunst. Lehrtätigkeiten, Podiumsdiskussionen und die Veröffentlichung ihrer Analysen wurden als Teil eines umfassenden künstlerischen Prozesses verstanden. In den 1970er Jahren führte der selbstreferentielle und linguistisch-analytische Charakter der Arbeit von Art & Language dazu, dass sich weitere Konzeptkünstler, unter ihnen auch US-Amerikaner wie beispielsweise Joseph Kosuth, der Gruppierung anschlossen.↓[29] 1971 schlossen sich Ian Burn und Mel Ramadan mit ihrer in New York ansässigen „Society for Theoretical Art and Analyses“ an, während einige der frühen Mitglieder die Gruppe aufgrund politischer Differenzen verließen. 1972 präsentierte Art & Language auf der Documenta V ihr bisher umfangreichstes Projekt mit dem Titel „Index 001“. In mehreren Aktenschränken mit insgesamt 48 Schubladen befanden sich alle bisher in „Art-Language“ veröffentlichten Artikel und Artikelfragmente, sowie einige bis dahin noch unveröffentlichte Artikel. Diese Artikel wurden nach zwei Kriterien sortiert: zunächst in alphabetischer Reihenfolge und daraufhin nach dem Grad ihrer Vollständigkeit. Die Wandflächen des Ausstellungsraumes waren fast vollständig mit Papierbögen bedeckt, auf denen ein komplexes System der Verschlagwortung von rund 350 Zitaten präsentiert wurde.↓[30]
Das System basiert dabei auf drei Kriterien: Die zitierten Texte werden durch die Symbole +, - und T entweder als kompatibel, inkompatibel oder ohne jeglichen Beziehungswert gekennzeichnet. Auf diese Weise werden die Ergebnisse der kunsttheoretischen Analysen von Art & Language in ein weit verzweigtes Bezugssystem eingebettet. Es gibt wohl kaum ein anderes Projekt in der Konzeptkunst, das in Umfang und Struktur die Ernsthaftigkeit des intellektuellen Anliegens so deutlich macht wie Index 001 von Art & Language.↓[31]
Abseits der drei Ebenen: 1. Überschreitung der Grenzen von etablierten Kunstgattungen (Sol LeWitt), 2. Einsatz von kunst-externen Präsentationsformen (Kosuth und Weiner) und 3. Deklarierung von Kunsttheorie als Kunstwerk (Art & Language), existieren innerhalb der Konzeptkunst auch Positionen, die Sprache als reinen Informationsträger benutzen. Zu den bedeutendsten dieser Künstler zählt die amerikanische Installations- und Konzeptkünstlerin Jenny Holzer. Sie verwendet originale und entliehene Texte, um Werke zu schaffen, die zeitgenössische Themen erforschen und hinterfragen. Sie ist vor allem für ihre blinkenden elektronischen LED-Skulpturen bekannt, die sorgfältig komponierte, aber flüchtige Sätze zeigen, die als verbale Meditationen über Macht, Trauma, Wissen und Hoffnung fungieren.
Während ihres Studiums an der Ohio University und der Rhode Island School of Design beschäftigte sich Holzer zunächst mit abstrakter Malerei, bevor sie 1977 nach New York City zog. Im selben Jahr wurde sie in das Independent Study Program des Whitney Museum of American Art aufgenommen, wo ihr Interesse an sozialer und kultureller Theorie in der Truisms-Serie (1977-79) gipfelte. Die Arbeiten, die aus scheinbar vertrauten Slogans wie "Abuse of power comes as no surprise" bestehen, wurden von Holzer ursprünglich als Phrasen auf anonymen Plakaten und später auf Textilien, Plakatwänden und elektronischen Zeichen präsentiert. Auf diese von Zynismus und politischen Implikationen geprägten Texte folgten die strukturierteren und komplexeren Inflammatory Essays (1979-82), die Living-Serie (1981-82) und die Survival-Serie (1983-85), die sich als Tafeln und Schilder nahtlos in verschiedene Stadtlandschaften einfügten.↓[32] Mitte der 1980er Jahre, in der sie eine Reihe introspektiver und trauernder Werke wie Under a Rock (1986) und Laments (1989) schuf, begann Holzer, ihre Texte auf Steinbänke, Sarkophage und Bodenfliesen zu schreiben. Diese begleiteten ihre LED-Schilder in zahlreichen Ausstellungen und wurden unabhängig davon als ortsspezifische Arbeiten installiert. Ab 1996 erweiterte Holzer ihre Installationen um großflächige Lichtprojektionen im Freien und wählte öffentliche Orte, die die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich zogen. Ab 2001 begann sie, geliehene Texte in ihre Arbeit einzubeziehen, darunter Poesie, Literatur und bürokratische Dokumente.↓[33]
Als Pionierin in der Nutzung öffentlicher Kunst als soziale Intervention war sie eine der ersten Künstlerinnen, die Informationstechnologie als Plattform für politischen Protest nutzten. Ihr Erfolg hat eine ganze Generation von Künstlern ermutigt, öffentliche Plattformen im Cyberspace und im realen Raum zu schaffen, um politische Ansichten zu verbreiten.↓[34] Jenny Holzer ist seit 2019 ebenfalls in den Künstlerräumen des Tate Modern in London vertreten. Die Ausstellung zeigt einige der bedeutendsten Werke ihrer Karriere, darunter Zeichnungen aus der Serie "Diagrams" von 1976 oder Stücke aus der Serie "Truisms", aber auch unbekannte Arbeiten. Begleitend zu der Präsentation ihrer Werke wurde in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin ein besticktes Geschirrtuch exklusiv für die Tate geschaffen.↓[35]
ANMERKUNGEN
[1] Monoskop [↗]
[2] ebenda
[3] Burnham, Jack: Ausstellungskatalog Software, S. 10 – 11
[4] ebenda
[5] ebenda
[6] ebenda
[7] Glueck, Grace: Varied Problems Beset Opening Of Jewish Museum's ‘Software’, in: The New York Times, 1970
[8] Museum of Modern Art [↗]
[9] Wiki Art [↗]
[10] LeWitt, Sol: Paragraphs on Conceptual Art, Art Forum, 1967
[11] ebenda
[12 LeWitt, Sol: Sentences on Conceptual Art, Art-Language, 1969
[13] MoMa press release, Sol LeWitts celebrated Wall Drawing #260 in Display at MoMA, 2008
[14 Reynolds, Jock: Sol LeWitt: A Wall Drawing Retrospective, MASS MoCA, 2008
[15] MASS MoCA [↗]
[16] Dreher, Thomas: Konzeptuelle Kunst in Amerika und England zwischen 1963 und 1976, Verlag Peter Lang, 1988, S. 37
[17] Thomas Dreher [↗]
[18] Britannica [↗]
[19] Dreher, 1988, S. 71
[20] Kiel, Benjamin / Toopeekoff, Jelena: Die Rezeption der Philosophie Ludwig Wittgensteins in der zeitgenössischen Kunst, kassel university press, 2016, S. 157
[21] Britannica [↗]
[22] Britannica [↗]
[23] Thomas Dreher [↗]
[24] Britannica [↗]
[25] Ausstellungskatalog Learn to Read Art: Eine Ausstellung von Künstlerbüchern und Multiples aus der ständigen Sammlung von Art Metropole
[26] The Art Story [↗]
[27] ebenda
[28] Marzona, Daniel: conceptual art, Taschen Verlag, 2005, S. 30–31
[29] ebenda
[30] ebenda
[31] ebenda
[32] Britannica [↗]
[33] ebenda
[34] The Art Story [↗]
[35] Artsy [↗]
Nachdem die Bewegung der Neuen Tendenzen nach den Ausstellungen der Reihe Tendencies 4 1968/69 etwas von ihrem Schwung verloren hat, wurde 1973 mit der fünften Ausstellung Tendencies 5 ein weiterer Versuch gestartet, die Neuen Tendenzen auf eine nächste Entwicklungsstufe zu bringen. Mit dem übergeordneten Thema "The Rational and the Irrational in Visual Research" wurde in drei Rubriken ausgestellt. In der Rubrik "constructive visual research" wurden erstmals Arbeiten von zum Beispiel Victor Vasarely im Kontext der Neuen Tendenzen gezeigt. Im Bereich "computer visual research" stand der Galerie Herbert W. Franke als Berater zur Seite und traf die Auswahl der gezeigten Künstler. In der letzten Rubrik "conceptual art" wurden erstmalig Protagonisten aus den USA und dem westlichen Europa zusammen mit jugoslawischen und ungarischen Künstlern präsentiert. Etwa drei Jahre vor der Eröffnung der Ausstellung Tendencies 5, wurde die Ausstellung „Software - Information Technology: Its New Meaning for Art“ eröffnet. Die Ausstellung die vom Künstler und Kunstkritiker Jack Burnham kuratiert wurde, fand vom 16. September 1970 bis zum 08. November 1970 im Jewish Museum in Brooklyn, New York City und vom 16. Dezember 1970 bis zum 14. Februar 1971 im Smithsonian in Washington D.C. statt.
Die Ausstellung brachte Konzeptkünstler mit dem Computer zusammen und verband sie durch die Idee der Software als Prozess oder Programm, das von einer Maschine oder dem Publikum auf der Grundlage von durch Künstler formulierte Instruktionen ausgeführt werden sollte.↓[1] Im Gegensatz zur Computerkunst-Ausstellung Cybernetic Serendipity, die ungefähr zwei Jahre zuvor in London stattgefunden hat, konzentrierte sich Software nicht auf die ästhetische Anwendung technologischer Apparate, sondern auf die Idee der Software als Metapher für die Kunst. Der Computer (die Hardware) als die Maschine, die bestimmte Operationen ausführt, die schließlich zu einem sichtbaren oder hörbaren Artefakt und damit zu einem wahrnehmbaren Werk führen, das als Kunstwerk anerkannt werden kann, trat in dieser Ausstellung hinter die Beschreibung (die Software) der Operationen zurück, die der Computer ausführt.↓[2]
Es wurden Arbeiten von 26 Künstlern und Künstlergruppen gezeigt, von denen viele später zu bekannten Konzeptkünstlern werden sollten. So stellten unter anderem John Baldessari, Robert Barry, Hans Haacke, Joseph Kosuth und Lawrence Weiner Werke aus. Im Ausstellungskatalog zu Software beschreibt der Kurator Burnham Cybernetic Serendipity als eine „umfassende Ausstellung im Bezug auf den kreativen Einsatz von Computern und verschiedenen kybernetischen Geräten“ in Form eines „historischen Resümees“.↓[3] Software hingegen, sollte nun im Anschluss daran, „weder als Demonstration von technischem Know-How noch als Kunstausstellung“ verstanden werden. Stattdessen demonstriere die Ausstellung „die Wirkung der zeitgenössischen Steuerungs- und Kommunikationstechniken in den Händen von Künstlern.“↓[4] Außerdem mache die Ausstellung keinen Unterschied zwischen Kunst und Nicht-Kunst, die Notwendigkeit, solche Entscheidungen zu treffen, bleibe jedem Besucher selbst überlassen. Das Ziel der Ausstellung sei „die Sensibilität auf den am schnellsten wachsenden Bereich der Kultur zu lenken: Informationsverarbeitungssysteme und ihre Geräte.“↓[5] Des Weiteren führte Burnham aus: „So ist es vielleicht nicht die Aufgabe von Computern und anderen Telekommunikationsgeräten, Kunst, wie wir sie kennen, zu produzieren, aber sie werden dazu beitragen, den gesamten Bereich der ästhetischen Wahrnehmung neu zu definieren.“↓[6] Obwohl Burnham mit dieser Aussage in vielerlei Hinsicht Recht behalten sollte, war die Ausstellung von Beginn an von Problemen geplagt. Ein kurzgeschlossener Computer zerstörte während der Eröffnung einige elektronische Geräte und funktionierte erst einen Monat nach Beginn der Ausstellung wieder. Außerdem gab es von einigen Künstlern Vorwürfe der Zensur gegenüber dem Museum. Die Künstler Les Levine und John Giorno drohten damit ihre Werke aus der Ausstellung zurückzuziehen, da das Museum sie zensiert habe. Der Musemsdirektor Karl Katz wies die Vorwürfe zurück.↓[7] Trotz dieser Probleme war die Ausstellung wegweisend. Auch die Tendenzen gingen wenig später in Tendencies 5 dazu über, Konzeptkunst als nächsten Schritt in ihr Programm aufzunehmen.
Eine weitere wegweisende Ausstellung für die Konzeptkunst fand 1970 im MoMA New York statt. Vom 02. Juli bis zum 20. September wurde dort die von Kynaston McShine kuratierte Ausstellung "Information" gezeigt. 100 amerikanische und europäische Künstler, darunter Lawrence Weiner, Joseph Kosuth, die Künstlergruppe Art & Language, Joseph Beuys und Yoko Ono, stellten Videos und Installationen aus.
Ebenfalls beteiligt war die amerikanische Kunsttheoretikerin und -kritikerin Lucy R. Lippard, die mit ihren Texten zur Dematerialisierung der Kunst eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Konzeptkunst spielte. In einem 2020 im Magazin des MoMA New York erschienenen Artikel mit dem Titel "50 Years Later, a Conceptual Art Exhibition Still Courts Controversy" bezeichnete Lippard die Ausstellung als "Meilenstein", allerdings nicht, weil sie die erste ihrer Art war, sondern weil sie die erste Konzeptkunstausstellung im MoMA war.↓[8] Darüber hinaus stellte die Ausstellung eine drastische Abweichung von der üblichen Linie des Museums dar. Ein Großteil der ausgestellten Werke war prozessorientiert, viele Arbeiten waren politisch und erforderten die Beteiligung der Besucher. Hans Haackes berüchtigte Installation mit dem Titel "MoMA Poll" forderte die Besucher der Ausstellung auf, über die Frage "Wäre die Tatsache, dass Gouverneur Rockefeller Präsident Nixons Indochina-Politik nicht angeprangert hat, ein Grund, im November nicht für ihn zu stimmen?" mit Ja oder Nein abzustimmen. Da Nelson Rockefeller ein wichtiger Geldgeber und Vorstandsmitglied des MoMA war, kritisierte Haacke damit gleichzeitig die politischen Verbindungen des Museums, in dem die Installation ausgestellt wurde. Am Ende der Ausstellung wurden etwa doppelt so viele Ja-Stimmen wie Nein-Stimmen abgegeben. Haackes Installation gilt als ein frühes Beispiel für Institutionskritik in der Kunst.↓[9]
Zu den ausstellenden Künstlern bei Information gehörte auch Sol LeWitt. Der amerikanische Künstler gilt als Begründer des Begriffs "conceptual art". In den 1960er Jahren wurde LeWitt von der Kunstkritik meist der Minimal Art zugeordnet, obwohl er selbst diesen Begriff ablehnte. In seinem Manifest „Paragraphs on Conceptual Art" von 1967 distanziert sich LeWitt von der Minimal Art und bezeichnet seine Kunst erstmals als "conceptual art". In seiner Schrift erklärte er, dass in der Konzeptkunst die Idee oder das Konzept eines Kunstwerkes wichtiger sei als das realisierte, materiell existierende Werk. Die Idee müsse jedoch nicht unbedingt kompliziert oder logisch sein. Konzeptuelle Kunstwerke seien für den Betrachter in erster Linie intellektuell interessant, im Gegensatz zur „perceptual art“, die für den Betrachter in erster Linie visuell interessant sei.↓[10]
Zu LeWitts bekanntesten konzeptuellen Kunstwerken gehört „Variations of Incomplete Open Cubes“, ein serielles Werk, das aus 122 Variationen von Würfeln besteht, denen jeweils mindestens eine Kante fehlt. LeWitt hat dabei folgende Regeln aufgestellt: Jede Variation muss dreidimensional sein (mindestens drei Kanten müssen vorhanden sein); die Struktur muss zusammenhängend sein; zwei Variationen gelten als unterschiedlich, wenn sie sich durch eine Spiegelung unterscheiden, aber als identisch, wenn sie sich durch eine Rotation unterscheiden. Dieses Konzept wurde von LeWitt in einer Vielzahl von Medien umgesetzt. Neben den bekannten weiß lackierten Aluminiumskulpturen sind auch Zeichnungen, Fotografien, Künstlerbücher und kleinere Holzmodelle entstanden. Die Übersetzung desselben Konzepts in verschiedene Maßstäbe und Medien ist ein wichtiger Aspekt von LeWitts konzeptioneller Arbeitsweise. Für ihn sind auch Skizzen, Notizen und Modelle dem realisierten Werk gleichgestellt.
LeWitts konzeptionelle Arbeitsweise zeigt sich unter anderem darin, dass seine Strukturen (LeWitt bevorzugte den Begriff "structures" anstelle von "sculptures" für seine räumlichen Arbeiten) industriell hergestellt werden. Ein Eingreifen des Künstlers selbst ist bei der Realisierung des Kunstwerks nicht notwendig, da das Konzept der realisierten Arbeit übergeordnet ist. Die "Open Cubes" aus Aluminium (früher auch aus Stahl oder Holz) sind stets weiß lackiert, so dass visuell kein Rückschluss auf das Material gezogen werden kann. LeWitts berüchtigtes Zitat "the idea becomes the machine that makes the art."↓[11] wird in dieser Arbeit deutlich. Ausgehend von einer relativ einfachen Idee entsteht eine Vielzahl von unterschiedlichen Arbeiten. Obwohl das Konzept einer in sich geschlossenen Logik folgt, scheint die Prämisse des Konzepts irrational. Für LeWitt ist dies jedoch kein Widerspruch. Er schrieb: „Irrational thoughts should be followed absolutely and logically.“↓[12] Der Text "Sentences on conceptual art", dem dieses Zitat entnommen ist, erschien im Mai 1969 in der ersten Ausgabe der Publikation "Art-Language" der Künstlergruppe Art & Language. In dem Text hat LeWitt in 35 kurzen Sätzen seine Position zur Konzeptkunst erweitert. Die Vielfalt in LeWitts künstlerischem Schaffen wird besonders in seinen Wall Drawings deutlich. Zwischen 1968 und 2007 hat LeWitt über 1200 dieser Wandzeichnungen entworfen. Das erste Werk dieser Art fertigte er 1968 in der Paula Cooper Gallery in New York noch selbst an, später entwarf er nur noch die Konzepte, die anschließend von Assistenten umgesetzt wurden. Die Vielfalt der Wall Drawings wird durch LeWitts Einsatz unterschiedlichster Medien sowie durch die ständige Erweiterung seines Formenrepertoires deutlich. Zu Beginn arbeitete er vor allem mit einfachen geometrischen Formen und Linien, später mit komplexeren und weniger strengen Figuren und Formen, die er selbst als "continuous forms" bezeichnete. LeWitt verglich sich in seiner Rolle für die Wall Drawings, deren Konzepte er entwarf, aber nicht selbst ausführte, mit der eines Komponisten, der ein Musikstück schreibt, das von verschiedenen Musikern gespielt werden kann, wobei das geistige Eigentum immer beim Künstler (bzw. Komponisten) bleibt. Das Konzept (bzw. das Musikstück) bleibt dabei immer dasselbe, doch die Ausführung ändert sich jedes Mal.↓[13] Anhand der Wall Drawings wird LeWitts Grundgedanke, dass die Idee oder das Konzept dem realisierten Werk übergeordnet ist, besonders deutlich. Da die Arbeiten direkt an der Wand ausgeführt werden, erhält der Käufer anstelle des fertigen Werks ein Zertifikat, das in der Regel ein Diagramm und die Instruktion zur Ausführung des Werks enthält. Der Erwerb eines solchen Zertifikats berechtigt den Eigentümer, die jeweilige Wandzeichnung an einer beliebigen Wand rekonstruieren zu lassen. In den frühen Wall Drawings wurden die verschiedenen Arten der Darstellung einer geraden Linie - vertikal, horizontal, diagonal von links nach rechts und diagonal von rechts nach links - und die verschiedenen Möglichkeiten ihrer Kombination dargestellt. Das erste Wall Drawing besteht aus 32 gleich großen Quadraten, in denen LeWitt alle Möglichkeiten aufzeigt, jeweils zwei der vier möglichen Arten von geraden Linien zu kombinieren. Später erweiterte LeWitt sein Repertoire und beschränkte sich nicht mehr nur auf gerade Linien. So entstanden Werke wie "Wall Drawing #86", dessen Instruktion „ten thousand lines about 10 inches (25 cm) long covering the wall evenly“ lautet. Bei dieser Art von Wandzeichnung hat der ausführende Assistent eine gewisse Freiheit bei der Umsetzung. Der Zeichner ist nur angewiesen, die Länge der Linien und die Gleichmäßigkeit der Verteilung einzuhalten, andere Aspekte, z. B. wie oft sich die Linien überschneiden, sind dem Zeichner überlassen. Infolgedessen ergibt jede Rekonstruktion des Wall Drawings ein anderes Bild.↓[14]
In den 1970er Jahren erweiterte LeWitt sein Formenrepertoire erneut und integrierte geometrische Formen. Diese beschränkten sich zunächst auf Primärformen, die er als Kreis, Quadrat und Dreieck definierte, doch schon bald ergänzte er Sekundärformen wie Rechteck, Trapez und Parallelogramm. Diese sechs (später neun) geometrischen Formen werden in LeWitts Wandzeichnungen von da an immer wieder verwendet, so zum Beispiel im Wall Drawing #295. Die Instruktion für dieses Wall Drawing lautet: „Six white geometric figures (outlines) superimposed on a black wall.“ Neben den geometrischen Formen kommt hier auch die Überlagerung zum Einsatz, die LeWitt bereits in seinen frühen Wall Drawings zur Erweiterung der Kombinationsmöglichkeiten von geraden Linien nutzte. Die von LeWitt definierten Primär- und Sekundärformen werden innerhalb des Quadrats überlagert, wodurch strukturelle Gemeinsamkeiten der Formen sichtbar werden.↓[15]
Während LeWitt die Grenzen der etablierten Kunstgattungen Malerei und Skulptur zwar überschreitet, um Übergänge und Beziehungen zwischen ihnen herzustellen, benutzt er dennoch kunst-typische Medien und Zeichen. Im Gegensatz zu LeWitt integrieren Künstler wie Joseph Kosuth Zeichen und Medien in ihr künstlerisches Werk, die noch als kunst-fremd galten.↓[16]
Auf die Frage "Was ist Kunst?" gibt es zwei Antworten von Konzeptuellen Künstlern. In erster Variante definiert der Künstler den Status eines Gegenstandes oder einer Zeichenkombination als Kunst. Die zweite Form der Kunst wird als Praxis der Kommunikation über Kunst verstanden, in der es viele Antworten geben kann. Die erste, Marcel Duchamp folgende These vertrat Joseph Kosuth 1969 in "Art after Philosophy" in einer sprachphilosophisch erneuerten Fassung, die zweite These diskutierten die amerikanischen und englischen Mitglieder der Künstlergruppe Art & Language seit 1966 in immer neuen Anläufen, jeweils abhängig vom Kenntnisstand über sprachphilosophische Argumentationsweisen.↓[17]
Joseph Kosuth ist amerikanischer Künstler, Theoretiker und Hauptvertreter der Konzeptkunst. Er ist bekannt für sein Interesse an der Beziehung zwischen Worten und Objekten, zwischen Sprache und Bedeutung in der Kunst. Kosuth studierte an der Toledo Museum School of Design (1955-62), am Cleveland Institute of Art (1963-64) und an der School of Visual Arts in New York (1965-67), wo er inoffizielle Kurse mit Ad Reinhardt, Donald Judd und Sol LeWitt organisierte. 1965 schuf er sein erstes konzeptuelles Werk "One and Three Chairs", das einen echten Stuhl, dessen Foto und einen Text mit der Definition des Wortes Stuhl zeigte. Dieses Werk war ein Meilenstein in der Entwicklung der westlichen Kunst und leitete einen Trend ein, der die Idee oder das Konzept eines Werks gegenüber einem physischen Objekt bevorzugte.↓[18]
Die Beziehung, die die Alltagssemantik zwischen den vier Elementen (Begriff "Stuhl", Wörterbuch-Definitionen, Gegenstand und Abbild) herstellt, kann als eine bestimmte Beziehung von semantischen Feldern zueinander dargestellt werden, nämlich als Inklusion.↓[19]
Kosuths Werk ist durchdrungen von Literatur und Philosophie. Er hat sich unter anderem auf die Theorien von Platon, Sigmund Freud und Ludwig Wittgenstein bezogen. Sein Buch "Art after Philosophy" wird allgemein als ein Manifest der Konzeptkunst angesehen. Unter Bezugnahme auf die von Wittgenstein geprägte Philosophie behauptet Kosuth, die Kunst ist mit einem sprachlichen System wie der Logik oder der Mathematik vergleichbar.↓[20]
Ein für Kosuth typisches Material ist die Neonröhre, mit der er die Titel von Werken wie "Five Words in Green Neon" (1965) oder "Five Fives (to Donald Judd)" (1965) schrieb. Neonröhren sind für Kosuth ein Material, das er sich angeeignet hat, da er es als eine Form des öffentlichen Schreibens ohne Assoziationen zur bildenden Kunst betrachtet, das traditionell mit der Populärkultur assoziiert wird.↓[21] Ab 1968 unterrichtete er an der School of Visual Arts in New York und lehrte auch in Deutschland und Italien. In den Jahren 1970-79 war er in den USA Redakteur der Zeitschrift Art-Language: The Journal of Conceptual Art.
Ähnlich wie Joseph Kosuth arbeitete auch der amerikanische Konzeptkünstler Lawrence Weiner vor allem mit kunstexternen Zeichen und Medien. Textbasierte Arbeiten überwiegen. Er gilt ebenfalls als eine zentrale Figur bei der Gründung der Konzeptkunst in den 1960er Jahren. Sein erstes bekanntes Werk "Cratering Pieces" aus 1960 ist ein skulpturales und erdgebundenes Experiment. Ohne Genehmigung ließ Weiner in einem kalifornischen Park eine Reihe von Sprengsätzen detonieren, deren Ergebnisse er als Skulpturen deklarierte. Diese Art von Kreativität gegen das Establishment legte den Grundstein für seine radikale Karriere. Etwa zu dieser Zeit begann Weiner auch mit der Arbeit an den Propeller-Gemälden (1960-65), die von den Testmustern inspiriert waren, die nachts, wenn kein Programm lief, auf dem Fernsehbildschirm erschienen. Er verwendete jede Art von Farbe, die er finden konnte.↓[22]
Lawrence Weiner wurde durch frühe Gruppenausstellungen Konzeptueller Kunst, die der Galerist Seth Siegelaub zusammenstellte, bekannt. In einem Statement, das im Katalog zu Siegelaubs Ausstellung "January 5-31, 1969" zum ersten Mal publiziert wurde, systematisiert Weiner die in Robert Watts´ Definition des "Events" (1964) enthaltene Relationierung von Konzept und Realisation. Weiner erklärt in diesem Statement, das den Status seiner Textwerke festlegt und seither seine Präsentationen (von Ausführungen und/oder Notationen) begleitet. Im selben Jahr (in dem der Künstlerkollege Sol LeWitt seine "Paragraphs on Conceptual Art" schrieb) veröffentlichte Siegelaub das bahnbrechende Buch Statements, eine Sammlung von 24 maschinengeschriebenen Verfahren, die bei der Herstellung eines Kunstwerks zu befolgen sind. Das Buch, das in Siegelaubs Galerie für 1,95 Dollar verkauft wurde, enthält keine Illustrationen, und einige der beschriebenen Werke wurden nicht hergestellt.↓[23]
Eine Hauptmotivation für Weiners Arbeit war der Wunsch, sie zugänglich zu machen, ohne dass man eine Eintrittskarte kaufen oder eine geheime visuelle Sprache verstehen muss. Er vertrat die Ansicht, dass Sprache ein breiteres Publikum erreicht, und dass die Verortung von Sprache in Kontexten außerhalb der traditionellen Kunstbetrachtung, wie z. B. in Kunstmuseen, diese Reichweite noch erhöht. So begann er, Werke aus Wörtern und Sätzen oder Satzfragmenten zu schaffen, die er im öffentlichen Raum, in Büchern, Filmen und anderen zugänglichen Medien ausstellte und damit die kulturellen Institutionen ausschaltete, die ein breites und vielfältiges Publikum abschrecken könnten.↓[24] Stellvertretend für Weiners Zugänglichkeit dient die Grafik Learn To Read Art aus dem Katalog von Ausstellung Nr. 17, die 1989 im Portikus in Frankfurt am Main veranstaltet wurde und die Künstlerbücher von Lawrence Weiner aus dem Zeitraum von 1968 bis 1989 zeigte.↓[25]
Lawrence Weiners Arbeit trug zur so genannten "Entmaterialisierung des Kunstobjekts" bei, die 1973 von der Kritikerin Lucy Lippard definiert wurde. Dabei ging es um die Ersetzung visueller und dreidimensionaler Formen durch sprachliche Ideen als primäre Substanz der Kunst. Diese Geste, die Weiners Praxis ab 1968 bestimmte, hatte großen Einfluss auf die moderne Kunst des späten 20. Jahrhunderts, vom Post-Konzeptualismus und Post-Minimalismus bis zur Buchkunst, Performance-Kunst und mehr. Weiners Philosophien und seine Arbeit haben viele Künstler beeinflusst, darunter Jenny Holzer, Barbara Kruger, Felix Gonzalez-Torres und Liam Gillick, mit dem er zusammenarbeitete.↓[26] Obwohl er als Konzeptkünstler eingestuft wurde, lehnt Weiner diese Bezeichnung ab, die er als eine weitere Form des Elitismus betrachtete, und sieht sich stattdessen als Bildhauer. Für Weiner besaß die Sprache eine materielle Realität. Auf diese Weise unterscheidet sich sein Sprachgebrauch von dem von Barbara Kruger oder Jenny Holzer, die Sprache eher als Aufruf zu den Waffen oder als Mittel zum Aufzeigen von Machtstrukturen innerhalb der Gesellschaft und nicht als Objekt an sich verwenden.↓[27]
Noch radikaler in ihrem Ansatz ist die englisch-amerikanische Künstlergruppe Art & Language, die weitestgehend davon absieht, Kunstwerke im traditionellen Sinn zu produzieren. Stattdessen präsentieren sie ihre kunsttheoretischen Schriften selbst als Kunstwerk. Ihren Ursprung hat Art & Language in der Zusammenarbeit von Terry Atkinson und Michael Baldwin, die sich 1966 als Studenten am Coventry College of Art kennen lernten. Bald schlossen sich weitere Mitglieder dem Künstlerkollektiv an, und 1968 gründeten sie den Verlag "Art & Language Press" in Cambridge, wo sie ein Jahr später ihre erste Publikation, die Zeitschrift "Art - Language", herausbrachten.↓[28] In der ersten Ausgabe von „Art - Language“ wurden u.a. Sol LeWitts „Sentences on conceptual art“ und Lawrence Weiners "Statements" veröffentlicht. Die frühen Ausgaben von „Art - Language“ übten bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung der Konzeptkunst in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien aus.
Erklärtes Ziel der Künstlergruppe ist es, mit ihrer Forschung zu einer Entmystifizierung der Kunst beizutragen. Bis Ende der 1970er Jahre weigerten sich die beteiligten Künstler weitestgehend, Kunstwerke im traditionellen Sinne zu produzieren und verstanden stattdessen den Diskurs über Kunst selbst als eine Form der Kunst. Lehrtätigkeiten, Podiumsdiskussionen und die Veröffentlichung ihrer Analysen wurden als Teil eines umfassenden künstlerischen Prozesses verstanden. In den 1970er Jahren führte der selbstreferentielle und linguistisch-analytische Charakter der Arbeit von Art & Language dazu, dass sich weitere Konzeptkünstler, unter ihnen auch US-Amerikaner wie beispielsweise Joseph Kosuth, der Gruppierung anschlossen.↓[29] 1971 schlossen sich Ian Burn und Mel Ramadan mit ihrer in New York ansässigen „Society for Theoretical Art and Analyses“ an, während einige der frühen Mitglieder die Gruppe aufgrund politischer Differenzen verließen. 1972 präsentierte Art & Language auf der Documenta V ihr bisher umfangreichstes Projekt mit dem Titel „Index 001“. In mehreren Aktenschränken mit insgesamt 48 Schubladen befanden sich alle bisher in „Art-Language“ veröffentlichten Artikel und Artikelfragmente, sowie einige bis dahin noch unveröffentlichte Artikel. Diese Artikel wurden nach zwei Kriterien sortiert: zunächst in alphabetischer Reihenfolge und daraufhin nach dem Grad ihrer Vollständigkeit. Die Wandflächen des Ausstellungsraumes waren fast vollständig mit Papierbögen bedeckt, auf denen ein komplexes System der Verschlagwortung von rund 350 Zitaten präsentiert wurde.↓[30]
Das System basiert dabei auf drei Kriterien: Die zitierten Texte werden durch die Symbole +, - und T entweder als kompatibel, inkompatibel oder ohne jeglichen Beziehungswert gekennzeichnet. Auf diese Weise werden die Ergebnisse der kunsttheoretischen Analysen von Art & Language in ein weit verzweigtes Bezugssystem eingebettet. Es gibt wohl kaum ein anderes Projekt in der Konzeptkunst, das in Umfang und Struktur die Ernsthaftigkeit des intellektuellen Anliegens so deutlich macht wie Index 001 von Art & Language.↓[31]
Abseits der drei Ebenen: 1. Überschreitung der Grenzen von etablierten Kunstgattungen (Sol LeWitt), 2. Einsatz von kunst-externen Präsentationsformen (Kosuth und Weiner) und 3. Deklarierung von Kunsttheorie als Kunstwerk (Art & Language), existieren innerhalb der Konzeptkunst auch Positionen, die Sprache als reinen Informationsträger benutzen. Zu den bedeutendsten dieser Künstler zählt die amerikanische Installations- und Konzeptkünstlerin Jenny Holzer. Sie verwendet originale und entliehene Texte, um Werke zu schaffen, die zeitgenössische Themen erforschen und hinterfragen. Sie ist vor allem für ihre blinkenden elektronischen LED-Skulpturen bekannt, die sorgfältig komponierte, aber flüchtige Sätze zeigen, die als verbale Meditationen über Macht, Trauma, Wissen und Hoffnung fungieren.
Während ihres Studiums an der Ohio University und der Rhode Island School of Design beschäftigte sich Holzer zunächst mit abstrakter Malerei, bevor sie 1977 nach New York City zog. Im selben Jahr wurde sie in das Independent Study Program des Whitney Museum of American Art aufgenommen, wo ihr Interesse an sozialer und kultureller Theorie in der Truisms-Serie (1977-79) gipfelte. Die Arbeiten, die aus scheinbar vertrauten Slogans wie "Abuse of power comes as no surprise" bestehen, wurden von Holzer ursprünglich als Phrasen auf anonymen Plakaten und später auf Textilien, Plakatwänden und elektronischen Zeichen präsentiert. Auf diese von Zynismus und politischen Implikationen geprägten Texte folgten die strukturierteren und komplexeren Inflammatory Essays (1979-82), die Living-Serie (1981-82) und die Survival-Serie (1983-85), die sich als Tafeln und Schilder nahtlos in verschiedene Stadtlandschaften einfügten.↓[32] Mitte der 1980er Jahre, in der sie eine Reihe introspektiver und trauernder Werke wie Under a Rock (1986) und Laments (1989) schuf, begann Holzer, ihre Texte auf Steinbänke, Sarkophage und Bodenfliesen zu schreiben. Diese begleiteten ihre LED-Schilder in zahlreichen Ausstellungen und wurden unabhängig davon als ortsspezifische Arbeiten installiert. Ab 1996 erweiterte Holzer ihre Installationen um großflächige Lichtprojektionen im Freien und wählte öffentliche Orte, die die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich zogen. Ab 2001 begann sie, geliehene Texte in ihre Arbeit einzubeziehen, darunter Poesie, Literatur und bürokratische Dokumente.↓[33]
Als Pionierin in der Nutzung öffentlicher Kunst als soziale Intervention war sie eine der ersten Künstlerinnen, die Informationstechnologie als Plattform für politischen Protest nutzten. Ihr Erfolg hat eine ganze Generation von Künstlern ermutigt, öffentliche Plattformen im Cyberspace und im realen Raum zu schaffen, um politische Ansichten zu verbreiten.↓[34] Jenny Holzer ist seit 2019 ebenfalls in den Künstlerräumen des Tate Modern in London vertreten. Die Ausstellung zeigt einige der bedeutendsten Werke ihrer Karriere, darunter Zeichnungen aus der Serie "Diagrams" von 1976 oder Stücke aus der Serie "Truisms", aber auch unbekannte Arbeiten. Begleitend zu der Präsentation ihrer Werke wurde in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin ein besticktes Geschirrtuch exklusiv für die Tate geschaffen.↓[35]
ANMERKUNGEN
[1] Monoskop [↗]
[2] ebenda
[3] Burnham, Jack: Ausstellungskatalog Software, S. 10 – 11
[4] ebenda
[5] ebenda
[6] ebenda
[7] Glueck, Grace: Varied Problems Beset Opening Of Jewish Museum's ‘Software’, in: The New York Times, 1970
[8] Museum of Modern Art [↗]
[9] Wiki Art [↗]
[10] LeWitt, Sol: Paragraphs on Conceptual Art, Art Forum, 1967
[11] ebenda
[12 LeWitt, Sol: Sentences on Conceptual Art, Art-Language, 1969
[13] MoMa press release, Sol LeWitts celebrated Wall Drawing #260 in Display at MoMA, 2008
[14] Reynolds, Jock: Sol LeWitt: A Wall Drawing Retrospective, MASS MoCA, 2008
[15] MASS MoCA [↗]
[16] Dreher, Thomas: Konzeptuelle Kunst in Amerika und England zwischen 1963 und 1976, Verlag Peter Lang, 1988, S. 37
[17] Thomas Dreher [↗]
[18] Britannica [↗]
[19] Dreher, 1988, S. 71
[20] Kiel, Benjamin / Toopeekoff, Jelena: Die Rezeption der Philosophie Ludwig Wittgensteins in der zeitgenössischen Kunst, kassel university press, 2016, S. 157
[21] Britannica [↗]
[22] Britannica [↗]
[23] Thomas Dreher [↗]
[24] Britannica [↗]
[25] Ausstellungskatalog Learn to Read Art: Eine Ausstellung von Künstlerbüchern und Multiples aus der ständigen Sammlung von Art Metropole
[26] The Art Story [↗]
[27] ebenda
[28] Marzona, Daniel: conceptual art, Taschen Verlag, 2005, S. 30–31
[29] ebenda
[30] ebenda
[31] ebenda
[32] Britannica [↗]
[33] ebenda
[34] The Art Story [↗]
[35] Artsy [↗]