Nachdem Sol LeWitt 1949 sein Kunststudium an der Syracuse University in New York abgeschlossen hatte, verdiente er sein Geld zunächst als Grafiker für den Architekten Ieoh Ming Pei. Zu diesem Zeitpunkt verstand sich LeWitt noch als Maler und arbeitete im abstrakt-expressionistischen Stil. Von 1960 bis 1965 arbeitete er am Museum of Modern Art in New York, wo er die ebenfalls dort beschäftigten Künstler Dan Flavin, Robert Ryman und Robert Mangold kennenlernte, die einen starken Einfluss auf die künstlerische Entwicklung von LeWitt hatten. Zwischen 1962 und 1963 entstanden mit den „Wall Structures“ seine ersten geometrischen und monochromen Arbeiten. Die Wandobjekte aus Holz bewegen sich zwischen den Feldern Malerei, Skulptur und Relief.[↓1]
Eine entscheidende Wende für das künstlerische Werk LeWitts fand 1966 durch die Arbeit „Serial Project No. 1 (ABCD)“ statt. Die Arbeit wurde unter den Anweisungen LeWitts industriell hergestellt und besteht aus verschiedenen Kombinationen offener und geschlossener Würfel, sowie plan aufliegender Quadrate, die auf einem knapp 4 × 4 Meter großen Raster angeordnet sind. Die dargestellten Variationen zeigen alle (laut LeWitt) „relevanten“ Kombinationen aus geschlossenen und offenen Würfeln und Quadraten, die wiederum offene oder geschlossene Würfel und Quadrate enthalten.[↓2]
In einem Text, der 1966 gemeinsam mit der Arbeit „Serial Project No.1 (ABCD) erschienen ist, schreibt Sol LeWitt: „The aim of the artist would not be to instruct the viewer but to give him information. Whether the viewer understands this information is incidental to the artist; he cannot force the understanding of all his viewers. He would follow his predetermined premise to its conclusion avoiding subjectivity. Chance, taste, or unconsciously remembered forms would play no part in the outcome. The serial artist does not attempt to produce a beautiful or mysterious object but functions merely as a clerk cataloging the results of his premise.“[↓3]
„Serial Project No.1 (ABCD)“ ist die erste einer Vielzahl von LeWitts seriell konzeptuellen Arbeiten, dessen Ausgangsform der Würfel ist. Die mittlerweile ausschließlich industriell hergestellten Skulpturen, die aus Stahl oder Aluminium bestehen, sind stets weiß lackiert und die Idee bzw. das Konzept der Arbeiten steht im Vordergrund. LeWitt, der seinerzeit von Kritikern meist der Minimal Art zugeordnet wurde, obwohl er diesen Begriff selbst ablehnte, lässt spätestens mit diesem Schritt, hin zur seriellen und konzeptuellen Kunst, die Minimal Art hinter sich.[↓4]
Nicht zuletzt dank seinem 1967 im Art Forum publiziertem Manifest „Paragraphs on Conceptual Art“, wird LeWitt zum Wegbereiter für die Konzeptkunst. In dem Manifest erklärt er, dass in der „conceptual art“ die Idee bzw. das Konzept eines Kunstwerkes wichtiger sei als das materiell existierende Kunstwerk. Dabei müsse die Idee allerdings nicht zwangsweise kompliziert oder logisch sein. Die Kunstwerke seien für den Betrachter vor allem geistig interessant, im Gegensatz zur „perceptual art“, die für den Betrachter vor allem visuell interessant sei.[↓5]
Zu LeWitts bekanntesten konzeptuellen Werken gehört „Variations Incomplete Open Cubes“, eine serielle Arbeit bestehend aus 122 verschiedenen Variationen von Würfeln, bei denen mindestens eine Kante fehlt. LeWitt definierte für „Incomplete Open Cubes“ die folgenden Regeln: Jede gültige Variation muss dreidimensional sein (mindestens drei Kanten müssen vorhanden sein); die Struktur muss zusammenhängend sein; zwei Variationen gelten als unterschiedlich, wenn sie sich durch eine Spiegelung unterscheiden, aber als identisch, wenn sie sich durch eine Rotation unterscheiden. Dieses Konzept wurde von LeWitt in einer Vielzahl von verschiedenen Medien und Maßstäben umgesetzt. Neben den bekannten weiß lackierten Aluminiumskulpturen sind auch Zeichnungen, Fotografien, Künstlerbücher und kleinere Holzmodelle entstanden.
Die Übertragung desselben Konzepts in verschiedene Medien und Maßstäbe ist ein wichtiger Aspekt von LeWitts konzeptioneller Arbeitsweise. Für ihn sind auch Skizzen, Notizen und Modelle dem realisierten Werk gleichgestellt. LeWitts konzeptionelle Arbeitsweise zeigt sich unter anderem darin, dass seine Strukturen (LeWitt bevorzugte den Begriff „structures“ anstelle von „sculptures“ für seine räumlichen Arbeiten) industriell hergestellt werden. Ein Eingreifen des Künstlers selbst ist bei der Realisierung des Kunstwerks nicht notwendig, da das Konzept der realisierten Arbeit übergeordnet ist. Die Incomplete Open Cubes aus Aluminium (früher auch aus Stahl oder Holz) sind weiß lackiert, sodass visuell kein Rückschluss auf das Material gezogen werden kann. LeWitts berühmtes Zitat „the idea becomes the machine that makes the art.“[↓6] wird anhand dieser Arbeit deutlich. Ausgehend von einer relativ einfachen Idee entsteht eine Vielzahl von unterschiedlichen Arbeiten.
Obwohl das Konzept einer in sich geschlossenen Logik folgt, scheint die Prämisse des Konzepts irrational. Für LeWitt ist dies jedoch kein Widerspruch. Er schrieb: „Irrational thoughts should be followed absolutely and logically.“ Der Text Sentences on conceptual art, dem dieses Zitat entnommen ist, erschien im Mai 1969 in der ersten Ausgabe der Publikation Art-Language der Künstlergruppe Art & Language. In dem Text hat LeWitt in 35 kurzen Sätzen seine Position zur Konzeptkunst erweitert.
In dem Künstlerbuch zu „Variations of Incomplete Open Cubes“, mit dem gleichnamigen Titel, sind Fotografien aller 122 Skulpturen vor einem schwarzen Hintergrund zu sehen. Jeder Fotografie ist die entsprechende technische Zeichnung gegenübergestellt. Das Buch wurde von LeWitt ebenso als Kunstwerk angesehen wie die Skulpturen, die in dem Buch abgebildet sind.
Zwischen 1967 und 2002 entstanden über 80 Künstlerbücher von LeWitt. 1976 gründete LeWitt außerdem gemeinsam mit der Kunsttheoretikerin und Kuratorin Lucy R. Lippard den Verlag „Printed Matter“ für die Publikation von Künstlerbüchern. Der Begriff Künstlerbuch soll dabei nicht als Buch über den Künstler oder als Buch über Kunst verstanden werden, sondern bezeichnet das Buch selbst als Kunstform, welche LeWitt nutzte, um seine künstlerische Praxis zu erweitern. Oft sind die Bücher nach den Instruktionen benannt, die die Basis für die gezeigten Arbeiten sind, wie beispielsweise bei dem Buch „Four basic Kinds of straight lines: 1. Vertical. 2. Horizontal 3. Diagonal l.[eft] to r.[ight] 4. Diagonal r.[ight] to l.[eft] And their combinations“, oder „Geometric Figures within Geometric Figures. Circles, squares, triangles, rectangles, trapezoids and parallelograms : within circles, squares, triangles, rectangles, trapezoids and parallelograms & all their combinations“. Der Buchtitel beschriebt hier bereits das Konzept, welches in dem Buch in all seinen möglichen Kombinationen dargestellt wird.
Neben seinen skulpturellen Arbeiten ist LeWitt besonders für seine Wall Drawings bekannt, von denen er zwischen 1968 und 2007 über 1200 Variationen konzipierte. Das erste Wall Drawing fertigte LeWitt 1968 in der Paula Cooper Gallery in New York noch selbst an, später entwarf er nur noch die Konzepte, die anschließend von Assistenten umgesetzt wurden.
Die Vielfältigkeit der Wall Drawings wird durch LeWitts Einsatz unterschiedlichster Medien, sowie durch die kontinuierliche Erweiterung seines Formenrepertoires deutlich. Anfangs arbeitete er fast ausschließlich mit Linien, später auch mit einfachen geometrischen Figuren und zum Ende seiner Schaffenszeit auch mit komplexeren und weniger strengen Figuren und Formen, die er selbst als „continuous forms“ bezeichnete. LeWitt verglich sich in seiner Rolle für die Wall Drawings, deren Konzepte er entwarf, aber nicht selbst ausführte, mit der eines Komponisten, der ein Musikstück schreibt, das von verschiedenen Musikern gespielt werden kann, wobei das geistige Eigentum jedoch stets beim Künstler bzw. beim Komponisten bleibt. Das Konzept, bzw. das Musikstück bleibt dabei immer gleich, aber die Ausführung wird sich jedes Mal etwas verändern.[↓7]
Durch die „Wall Drawings“ wird LeWitts zentrale Idee, dass das Konzept dem realisierten Werk übergeordnet ist, besonders deutlich. Da die Wall Drawings direkt auf der Wand ausgeführt werden, erhält ein Käufer statt eines Kunstwerks ein Zertifikat über das jeweilige Werk. Ein solches Zertifikat besteht üblicherweise aus einem Diagramm und der Instruktion, wie die Arbeit ausgeführt werden muss. Der Kauf eines Zertifikats berechtigt den Besitzer, das jeweilige „Wall Drawing“ an einer beliebigen Wand rekonstruieren zu lassen.
Die frühen Wall Drawings bestehen aus den verschiedenen Möglichkeiten eine gerade Linie darzustellen: vertikal; horizontal; diagonal von links nach rechts; diagonal von rechts nach links und den verschiedenen Möglichkeiten diese miteinander zu kombinieren. Für das erste Wall Drawing zeichnete LeWitt 32 gleichgroße Quadrate, in denen er alle Möglichkeiten jeweils zwei der vier möglichen Arten von geraden Linien miteinander zu kombinieren aufzeigt.
Spätere Wall Drawings wurden oft mit farbiger Kreide oder Buntstiften umgesetzt, wobei die Grundfarben Blau, Rot und Gelb jeweils für eine Art von Linie verwendet wurden. So beispielsweise in „Wall Drawing #85“, bei dem eine quadratische Wandfläche horizontal geviertelt wird. Die erste Reihe besteht aus vier gleich großen Flächen, in denen jeweils eine Art von Linie in einer zugeordneten Farbe, Gelb, Blau, Rot oder Schwarz ausgeführt wird. In der zweiten Reihe, die aus sechs Flächen gleicher Größe besteht, werden je zwei der Farben und Linien kombiniert. In der dritten Reihe, wieder bestehend aus vier Flächen, werden je drei Farben und Linien kombiniert. Die letzte Reihe zeigt alle Kombinationen überlagert in einer Fläche.
Später erweiterte LeWitt sein Repertoire und beschränkte sich nicht mehr nur auf die Darstellung der verschiedenen Arten von geraden Linien. So entstanden Werke wie „Wall Drawing #289“, dessen Instruktion: „A 6-inch (15 cm) grid covering each of the four black walls. White lines to points on the grids. Fourth wall: twenty-four lines from the center, twelve lines from the midpoint of each of the sides, twelve lines from each corner. (The length of the lines and their placement are determined by the drafter.)“ lautet. Durch diese Art von Wall Drawing tritt ein neuer Aspekt in LeWitts künstlerischem Werk auf, da dem Zeichner ein gewisser Freiraum in der Umsetzung der Arbeit gelassen wird.
In den 1970er Jahren erweiterte LeWitt sein Formenrepertoire erneut und integrierte geometrische Formen. Diese beschränkten sich zunächst auf Primärformen, die er als Kreis, Quadrat und Dreieck definierte, doch schon bald ergänzte er Sekundärformen wie Rechteck, Trapez und Parallelogramm. Diese sechs (später neun) geometrischen Formen werden in LeWitts Wandzeichnungen (und anderen Arbeiten wie dem zuvor erwähnten Buch „Geometric Figures within Geometric Figures“) von da an immer wieder verwendet, so zum Beispiel im Wall Drawing #295. Die Instruktion für dieses Wall Drawing lautet: „Six white geometric figures (outlines) superimposed on a black wall.“ Neben den geometrischen Formen kommt hier auch die Überlagerung zum Einsatz, die LeWitt bereits in seinen frühen Wall Drawings zur Erweiterung der Kombinationsmöglichkeiten von geraden Linien nutzte. Die von LeWitt definierten Primär- und Sekundärformen werden innerhalb des Quadrats überlagert, wodurch strukturelle Gemeinsamkeiten der Formen sichtbar werden.[↓8]
In den 90er Jahren ging LeWitt dazu über, auch unregelmäßige, organische Formen in seine Wandzeichnungen zu integrieren und erweiterte so sein Formenrepertoire erneut. Auch seine Farbpalette erweiterte er. Diese war zunächst auf Schwarz und die Grundfarben Gelb, Rot und Blau beschränkt, wurde aber durch Sekundärfarben wie Orange, Violett und Grün ergänzt. In „Wall Drawing #901“ von 1999 mit der Instruktion: „Color bands and black blob. The wall is divided vertically into six equal bands; red; yellow; blue; orange; purple; green. In the center is a black glossy blob.“ ist eine organische schwarze Form, von LeWitt als „blob“ bezeichnet, über sechs gleich breite Spalten in den Farben Rot, Gelb, Blau, Orange, Lila und Grün gemalt.[↓9]
Obwohl dieses Wall Drawing, wie die meisten der in den späten 90er Jahren entstandenen Wall Drawings, mit Acrylfarbe ausgeführt wurde, betitelt LeWitt seine Werke weiterhin als Wall „Drawings“ und nicht als Wandmalerei und betont damit die Einbindung dieser Werke in das streng intellektuelle Gesamtkonzept seines Werks.[10]
ANMERKUNGEN
[1] vgl. Daniel Marzona, Minimal Art, Taschen, S. 19
[2] vgl. ebd., S. 20–21
[3] Sol LeWitt, Serial Project #1, Aspen Magazine No. 5+6, 1967
[4] vgl. Marzona, S. 20–21
[5] vgl. Sol LeWitt, Paragraphs on Conceptual Art, Art Forum, 1967
[6] ebenda
[7] vgl. MoMA Press Release, Sol LeWitts Wall Drawing #564, 2013
[8] MASS MoCA [↗]
[9] MASS MoCA [↗]
[10] MASS MoCA [↗]
Nachdem Sol LeWitt 1949 sein Kunststudium an der Syracuse University in New York abgeschlossen hatte, verdiente er sein Geld zunächst als Grafiker für den Architekten Ieoh Ming Pei. Zu diesem Zeitpunkt verstand sich LeWitt noch als Maler und arbeitete im abstrakt-expressionistischen Stil. Von 1960 bis 1965 arbeitete er am Museum of Modern Art in New York, wo er die ebenfalls dort beschäftigten Künstler Dan Flavin, Robert Ryman und Robert Mangold kennenlernte, die einen starken Einfluss auf die künstlerische Entwicklung von LeWitt hatten. Zwischen 1962 und 1963 entstanden mit den „Wall Structures“ seine ersten geometrischen und monochromen Arbeiten. Die Wandobjekte aus Holz bewegen sich zwischen den Feldern Malerei, Skulptur und Relief.[↓1]
Eine entscheidende Wende für das künstlerische Werk LeWitts fand 1966 durch die Arbeit „Serial Project No. 1 (ABCD)“ statt. Die Arbeit wurde unter den Anweisungen LeWitts industriell hergestellt und besteht aus verschiedenen Kombinationen offener und geschlossener Würfel, sowie plan aufliegender Quadrate, die auf einem knapp 4 × 4 Meter großen Raster angeordnet sind. Die dargestellten Variationen zeigen alle (laut LeWitt) „relevanten“ Kombinationen aus geschlossenen und offenen Würfeln und Quadraten, die wiederum offene oder geschlossene Würfel und Quadrate enthalten.[↓2]
In einem Text, der 1966 gemeinsam mit der Arbeit „Serial Project No.1 (ABCD) erschienen ist, schreibt Sol LeWitt: „The aim of the artist would not be to instruct the viewer but to give him information. Whether the viewer understands this information is incidental to the artist; he cannot force the understanding of all his viewers. He would follow his predetermined premise to its conclusion avoiding subjectivity. Chance, taste, or unconsciously remembered forms would play no part in the outcome. The serial artist does not attempt to produce a beautiful or mysterious object but functions merely as a clerk cataloging the results of his premise.“[↓3]
„Serial Project No.1 (ABCD)“ ist die erste einer Vielzahl von LeWitts seriell konzeptuellen Arbeiten, dessen Ausgangsform der Würfel ist. Die mittlerweile ausschließlich industriell hergestellten Skulpturen, die aus Stahl oder Aluminium bestehen, sind stets weiß lackiert und die Idee bzw. das Konzept der Arbeiten steht im Vordergrund. LeWitt, der seinerzeit von Kritikern meist der Minimal Art zugeordnet wurde, obwohl er diesen Begriff selbst ablehnte, lässt spätestens mit diesem Schritt, hin zur seriellen und konzeptuellen Kunst, die Minimal Art hinter sich.[↓4]
Nicht zuletzt dank seinem 1967 im Art Forum publiziertem Manifest „Paragraphs on Conceptual Art“, wird LeWitt zum Wegbereiter für die Konzeptkunst. In dem Manifest erklärt er, dass in der „conceptual art“ die Idee bzw. das Konzept eines Kunstwerkes wichtiger sei als das materiell existierende Kunstwerk. Dabei müsse die Idee allerdings nicht zwangsweise kompliziert oder logisch sein. Die Kunstwerke seien für den Betrachter vor allem geistig interessant, im Gegensatz zur „perceptual art“, die für den Betrachter vor allem visuell interessant sei.[↓5]
Zu LeWitts bekanntesten konzeptuellen Werken gehört „Variations Incomplete Open Cubes“, eine serielle Arbeit bestehend aus 122 verschiedenen Variationen von Würfeln, bei denen mindestens eine Kante fehlt. LeWitt definierte für „Incomplete Open Cubes“ die folgenden Regeln: Jede gültige Variation muss dreidimensional sein (mindestens drei Kanten müssen vorhanden sein); die Struktur muss zusammenhängend sein; zwei Variationen gelten als unterschiedlich, wenn sie sich durch eine Spiegelung unterscheiden, aber als identisch, wenn sie sich durch eine Rotation unterscheiden. Dieses Konzept wurde von LeWitt in einer Vielzahl von verschiedenen Medien und Maßstäben umgesetzt. Neben den bekannten weiß lackierten Aluminiumskulpturen sind auch Zeichnungen, Fotografien, Künstlerbücher und kleinere Holzmodelle entstanden.
Die Übertragung desselben Konzepts in verschiedene Medien und Maßstäbe ist ein wichtiger Aspekt von LeWitts konzeptioneller Arbeitsweise. Für ihn sind auch Skizzen, Notizen und Modelle dem realisierten Werk gleichgestellt. LeWitts konzeptionelle Arbeitsweise zeigt sich unter anderem darin, dass seine Strukturen (LeWitt bevorzugte den Begriff „structures“ anstelle von „sculptures“ für seine räumlichen Arbeiten) industriell hergestellt werden. Ein Eingreifen des Künstlers selbst ist bei der Realisierung des Kunstwerks nicht notwendig, da das Konzept der realisierten Arbeit übergeordnet ist. Die Incomplete Open Cubes aus Aluminium (früher auch aus Stahl oder Holz) sind weiß lackiert, sodass visuell kein Rückschluss auf das Material gezogen werden kann. LeWitts berühmtes Zitat „the idea becomes the machine that makes the art.“[↓6] wird anhand dieser Arbeit deutlich. Ausgehend von einer relativ einfachen Idee entsteht eine Vielzahl von unterschiedlichen Arbeiten.
Obwohl das Konzept einer in sich geschlossenen Logik folgt, scheint die Prämisse des Konzepts irrational. Für LeWitt ist dies jedoch kein Widerspruch. Er schrieb: „Irrational thoughts should be followed absolutely and logically.“ Der Text Sentences on conceptual art, dem dieses Zitat entnommen ist, erschien im Mai 1969 in der ersten Ausgabe der Publikation Art-Language der Künstlergruppe Art & Language. In dem Text hat LeWitt in 35 kurzen Sätzen seine Position zur Konzeptkunst erweitert.
In dem Künstlerbuch zu „Variations of Incomplete Open Cubes“, mit dem gleichnamigen Titel, sind Fotografien aller 122 Skulpturen vor einem schwarzen Hintergrund zu sehen. Jeder Fotografie ist die entsprechende technische Zeichnung gegenübergestellt. Das Buch wurde von LeWitt ebenso als Kunstwerk angesehen wie die Skulpturen, die in dem Buch abgebildet sind.
Zwischen 1967 und 2002 entstanden über 80 Künstlerbücher von LeWitt. 1976 gründete LeWitt außerdem gemeinsam mit der Kunsttheoretikerin und Kuratorin Lucy R. Lippard den Verlag „Printed Matter“ für die Publikation von Künstlerbüchern. Der Begriff Künstlerbuch soll dabei nicht als Buch über den Künstler oder als Buch über Kunst verstanden werden, sondern bezeichnet das Buch selbst als Kunstform, welche LeWitt nutzte, um seine künstlerische Praxis zu erweitern. Oft sind die Bücher nach den Instruktionen benannt, die die Basis für die gezeigten Arbeiten sind, wie beispielsweise bei dem Buch „Four basic Kinds of straight lines: 1. Vertical. 2. Horizontal 3. Diagonal l.[eft] to r.[ight] 4. Diagonal r.[ight] to l.[eft] And their combinations“, oder „Geometric Figures within Geometric Figures. Circles, squares, triangles, rectangles, trapezoids and parallelograms : within circles, squares, triangles, rectangles, trapezoids and parallelograms & all their combinations“. Der Buchtitel beschriebt hier bereits das Konzept, welches in dem Buch in all seinen möglichen Kombinationen dargestellt wird.
Neben seinen skulpturellen Arbeiten ist LeWitt besonders für seine Wall Drawings bekannt, von denen er zwischen 1968 und 2007 über 1200 Variationen konzipierte. Das erste Wall Drawing fertigte LeWitt 1968 in der Paula Cooper Gallery in New York noch selbst an, später entwarf er nur noch die Konzepte, die anschließend von Assistenten umgesetzt wurden.
Die Vielfältigkeit der Wall Drawings wird durch LeWitts Einsatz unterschiedlichster Medien, sowie durch die kontinuierliche Erweiterung seines Formenrepertoires deutlich. Anfangs arbeitete er fast ausschließlich mit Linien, später auch mit einfachen geometrischen Figuren und zum Ende seiner Schaffenszeit auch mit komplexeren und weniger strengen Figuren und Formen, die er selbst als „continuous forms“ bezeichnete. LeWitt verglich sich in seiner Rolle für die Wall Drawings, deren Konzepte er entwarf, aber nicht selbst ausführte, mit der eines Komponisten, der ein Musikstück schreibt, das von verschiedenen Musikern gespielt werden kann, wobei das geistige Eigentum jedoch stets beim Künstler bzw. beim Komponisten bleibt. Das Konzept, bzw. das Musikstück bleibt dabei immer gleich, aber die Ausführung wird sich jedes Mal etwas verändern.[↓7]
Durch die „Wall Drawings“ wird LeWitts zentrale Idee, dass das Konzept dem realisierten Werk übergeordnet ist, besonders deutlich. Da die Wall Drawings direkt auf der Wand ausgeführt werden, erhält ein Käufer statt eines Kunstwerks ein Zertifikat über das jeweilige Werk. Ein solches Zertifikat besteht üblicherweise aus einem Diagramm und der Instruktion, wie die Arbeit ausgeführt werden muss. Der Kauf eines Zertifikats berechtigt den Besitzer, das jeweilige „Wall Drawing“ an einer beliebigen Wand rekonstruieren zu lassen.
Die frühen Wall Drawings bestehen aus den verschiedenen Möglichkeiten eine gerade Linie darzustellen: vertikal; horizontal; diagonal von links nach rechts; diagonal von rechts nach links und den verschiedenen Möglichkeiten diese miteinander zu kombinieren. Für das erste Wall Drawing zeichnete LeWitt 32 gleichgroße Quadrate, in denen er alle Möglichkeiten jeweils zwei der vier möglichen Arten von geraden Linien miteinander zu kombinieren aufzeigt.
Spätere Wall Drawings wurden oft mit farbiger Kreide oder Buntstiften umgesetzt, wobei die Grundfarben Blau, Rot und Gelb jeweils für eine Art von Linie verwendet wurden. So beispielsweise in „Wall Drawing #85“, bei dem eine quadratische Wandfläche horizontal geviertelt wird. Die erste Reihe besteht aus vier gleich großen Flächen, in denen jeweils eine Art von Linie in einer zugeordneten Farbe, Gelb, Blau, Rot oder Schwarz ausgeführt wird. In der zweiten Reihe, die aus sechs Flächen gleicher Größe besteht, werden je zwei der Farben und Linien kombiniert. In der dritten Reihe, wieder bestehend aus vier Flächen, werden je drei Farben und Linien kombiniert. Die letzte Reihe zeigt alle Kombinationen überlagert in einer Fläche.
Später erweiterte LeWitt sein Repertoire und beschränkte sich nicht mehr nur auf die Darstellung der verschiedenen Arten von geraden Linien. So entstanden Werke wie „Wall Drawing #289“, dessen Instruktion: „A 6-inch (15 cm) grid covering each of the four black walls. White lines to points on the grids. Fourth wall: twenty-four lines from the center, twelve lines from the midpoint of each of the sides, twelve lines from each corner. (The length of the lines and their placement are determined by the drafter.)“ lautet. Durch diese Art von Wall Drawing tritt ein neuer Aspekt in LeWitts künstlerischem Werk auf, da dem Zeichner ein gewisser Freiraum in der Umsetzung der Arbeit gelassen wird.
In den 1970er Jahren erweiterte LeWitt sein Formenrepertoire erneut und integrierte geometrische Formen. Diese beschränkten sich zunächst auf Primärformen, die er als Kreis, Quadrat und Dreieck definierte, doch schon bald ergänzte er Sekundärformen wie Rechteck, Trapez und Parallelogramm. Diese sechs (später neun) geometrischen Formen werden in LeWitts Wandzeichnungen (und anderen Arbeiten wie dem zuvor erwähnten Buch „Geometric Figures within Geometric Figures“) von da an immer wieder verwendet, so zum Beispiel im Wall Drawing #295. Die Instruktion für dieses Wall Drawing lautet: „Six white geometric figures (outlines) superimposed on a black wall.“ Neben den geometrischen Formen kommt hier auch die Überlagerung zum Einsatz, die LeWitt bereits in seinen frühen Wall Drawings zur Erweiterung der Kombinationsmöglichkeiten von geraden Linien nutzte. Die von LeWitt definierten Primär- und Sekundärformen werden innerhalb des Quadrats überlagert, wodurch strukturelle Gemeinsamkeiten der Formen sichtbar werden.[↓8]
In den 90er Jahren ging LeWitt dazu über, auch unregelmäßige, organische Formen in seine Wandzeichnungen zu integrieren und erweiterte so sein Formenrepertoire erneut. Auch seine Farbpalette erweiterte er. Diese war zunächst auf Schwarz und die Grundfarben Gelb, Rot und Blau beschränkt, wurde aber durch Sekundärfarben wie Orange, Violett und Grün ergänzt. In „Wall Drawing #901“ von 1999 mit der Instruktion: „Color bands and black blob. The wall is divided vertically into six equal bands; red; yellow; blue; orange; purple; green. In the center is a black glossy blob.“ ist eine organische schwarze Form, von LeWitt als „blob“ bezeichnet, über sechs gleich breite Spalten in den Farben Rot, Gelb, Blau, Orange, Lila und Grün gemalt.[↓9]
Obwohl dieses Wall Drawing, wie die meisten der in den späten 90er Jahren entstandenen Wall Drawings, mit Acrylfarbe ausgeführt wurde, betitelt LeWitt seine Werke weiterhin als Wall „Drawings“ und nicht als Wandmalerei und betont damit die Einbindung dieser Werke in das streng intellektuelle Gesamtkonzept seines Werks.[10]
ANMERKUNGEN
[1] vgl. Daniel Marzona, Minimal Art, Taschen, S. 19
[2] vgl. ebd., S. 20–21
[3] Sol LeWitt, Serial Project #1, Aspen Magazine No. 5+6, 1967
[4] vgl. Marzona, S. 20–21
[5] vgl. Sol LeWitt, Paragraphs on Conceptual Art, Art Forum, 1967
[6] ebenda
[7] vgl. MoMA Press Release, Sol LeWitts Wall Drawing #564, 2013
[8] MASS MoCA [↗]
[9] MASS MoCA [↗]
[10] MASS MoCA [↗]